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Elmar Traks

Elmar Traks

Asher, Jay – Tote Mädchen lügen nicht (2009)

Hannah Baker, ein hübscher amerikanischer Teenager – ihr Alter wird nicht genannt, da sie jedoch bereits Auto fährt, könnte sie 16 / 17 sein – hat vor 2 Wochen Selbstmord begangen. Warum?

Das erklärt sie auf 7 Tonband-Kassetten (!!), von denen sie vor ihrem Freitod 13 Vor- und Rückseiten besprochen hat. Jede Seite ist einer Person gewidmet, die aus ihrer Sicht eine Mitschuld am Suizid trägt. Alle sollen sich sämtliche Texte anhören (vor 3 Jahren hatte bestimmt auch jeder noch einen Kassettenrecorder!!) und sie dann an den nächstfolgenden Delinquenten per Post weitersenden (äußerst sinnvoll, da alle im gleichen Ort wohnen und die meisten sogar aufs gleiche College gehen!). Zudem müssen sie verschiedene Schauplätze aufsuchen.

 

Hannahs Abrechnung beginnt mit dem Jugendlichen, von dem sie – heiß ersehnt - den ersten Kuss bekommen hat; mehr ist bei dieser Gelegenheit nicht passiert. Der junge Mann jedoch prahlt mit seiner Eroberung und dichtet hinzu, dass er seine Hände auf ihren BH-bedeckten Busen legen durfte. Hannah ist zwar betroffen, stellt den Maulhelden aber nicht zur Rede.

Durch seine Angeberei bekommt sie den Ruf, ein Flittchen zu sein und wird zum „geilsten Arsch der ersten Jahrgangsstufe“ gewählt. Obwohl sie den Verlauf der Abstimmung registriert, hält sie auch hier den Mund.

Ein Mitschüler schießt später von draußen Fotos der jungen Frau im Schlafzimmer. Sie bemerkt es, ist entrüstet, lässt aber weder die Jalousien herunter – weil sie so gerne in den Nachthimmel schaut – noch ruft sie die Polizei.

Von einer vermeintlichen Freundin wird sie zwar benutzt, sagt ihr aber weder die Meinung noch verweigert sie die „Hilfsdienste“.

Clay, der die Kassetten aktuell hört, war in sie verliebt, aber zurückhaltend, weil er unsicher war, ob sie seine Gefühle erwiderte. Auf einer Party kommen er und Hannah sich näher, knutschen – und sie will mehr. Jedoch überkommt sie plötzlich die Erinnerung an ihren ersten Kuss, und sie jagt Clay panisch davon. Er versucht zwar liebevoll, mit ihr zu reden, sie aber besteht darauf, dass er geht – was dann auch nicht richtig ist, sondern ein weiterer der 13 Gründe für ihren Selbstmord (der englische Titel heißt übrigens „thirteen reasons why“).

Ähnlich verhält es sich mit dem Vertrauenslehrer, den sie unmittelbar vor ihrem bereits genau geplanten Selbstmord aufsucht – übrigens ihr einziger, aber halbherziger Versuch, sich Hilfe zu holen. Seine Bemühungen, einen Zugang zu ihr zu finden, blockt sie rigoros ab und geht schließlich, obwohl er sie wiederholt ernsthaft zu einem konstruktiven Gespräch ermuntert – gleichzeitig ist sie entrüstet, dass er ihr nicht folgt.

Usw. usw.

Hannah ist zwar zunehmend empört und verzweifelt über das Verhalten ihrer Mitmenschen, interveniert aber nie, obwohl sie durchaus selbstbewusst erscheint. Stattdessen gibt sie ihnen später die Haupt-Verantwortung für die fatale Entwicklung und hat in ihrer düsteren Prä-Suizid-Stimmung die Energie und den Intellekt, mit ihren vermeintlichen Peinigern eine aufwendige Abrechnung zu betreiben.

Besonders infam finde ich, dass die Beschuldigten keine Chance haben, Stellung zu den schweren Vorwürfen zu nehmen, zumal einige keinerlei Unrechtsbewusstsein haben. Ganz besonders Clay, der immer ausgesprochen sensibel mit ihr umgegangen ist, soll nun sein Leben lang mit einer schweren Bürde leben.

 

Ich will die gesamte Problematik um Mobbing, sexuelle Übergriffe usw. keineswegs kleinreden, aber sie wird hier nur oberflächlich, wirr und nicht zeitgemäß thematisiert. Zu bedenken ist auch, dass Jugendliche, wenn sie die Sexualität entdecken, sehr empfindlich sind, vieles aber auch dramatisieren – zum Teil, weil sie es wirklich so empfinden, aber auch, um sich interessant zu machen. Aus meiner über 30-jährigen Tätigkeit als Lehrerin weiß ich, dass die Trennlinie hier oft sehr schwer zu ziehen ist.

Aber: Dies ist nun einmal seit Menschengedenken ein typisches Pubertäts-Problem. Da entwickeln Mädchen weibliche Formen, werden sich ihrer Reize bewusst, wissen aber noch nicht so recht damit umzugehen. Einerseits wollen sie ihre Wirkung aufs andere Geschlecht ausprobieren, haben aber auch 1000 Ängste vor dem Neuen.

Und die jungen Herren? Die wollen sich natürlich mit einem hübschen Mädchen schmücken und gegenüber ihren Geschlechtsgenossen mit ihren Eroberungen prahlen. Die wenigsten „genießen und schweigen“ in diesem Alter – und einige lernen's bis ins hohe Alter nicht ;-)

Aber inzwischen – das Buch ist vor 3 Jahren erschienen – werden sicher auch im prüden (???) Amerika die Schüler/-innen aufgeklärt und ihnen z.B. gegen Mobbing altersgerechte Hilfsmöglichkeiten angeboten. Geschweige denn, dass die jungen Frauen heute wohl auch jenseits des „großen Teiches“ zu Selbstbewusstsein erzogen werden. Der Autor ist viel zu oberflächlich und macht es sich sträflich einfach, wenn er als Ausweg aus dieser Pubertäts-Problematik nur den Selbstmord als Lösung thematisiert - ich sehe in diesem Fall große Nachwuchsprobleme!

 

Und dann der Schreibstil: Kursiv Gedrucktes (= das, was Hannah auf die Kassetten spricht) wechselt ununterbrochen mit Clays Gedanken zu dem Gehörten – ohne Einrückungen oder Leerzeilen. Das ist eine Zumutung - abgesehen davon, dass Clays Reaktionen oft gar nicht nachvollziehbar sind.

 

Resümee: Tut Euch dieses Buch bloß nicht an – es wird zwar höchstwahrscheinlich keinen in den Selbstmord treiben, dafür aber möglicherweise ein Magengeschwür fördern.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    nicci (Sonntag, 10 Juni 2012 10:31)

    Ja also, ich bin 13, und wir haben das Buch in der Schule gelesen. Die meisten von uns fanden es ganz spannend. Aber einige haben auch gesagt, dass es ziemlich langweilig ist. Weiß auch nicht, warum das so unterschiedlich ist.

  • #2

    Heiko (Dienstag, 13 November 2012 09:17)

    Hallo,
    also ich fand das Buch super. ich schreiben selber und bin schon älter, 46.
    Heiko

  • #3

    Ririi (Samstag, 21 Oktober 2017 15:19)

    Also erstens, hat sie ihre Jalousinen dann heruntergelassen, was Sie hier falsch geschreiben haben.
    Zweitens gibt es eben Menschen, die empfindlich oder sensibel sind, muss man ja verstehen oder?