Untertitel: Eine Jugend in Deutschland oder Das kurze Leben des Rashid A.
Die türkisch-kurdisch stämmige Journalistin, Fernsehredakteurin und Schriftstellerin Güner Yasemin Balci ist im Berliner Problembezirk Neukölln aufgewachsen. Mit vielen Jugendlichen, die in diesem Roman eine Rolle spielen, ist sie aufgewachsen, mit einigen war sie sogar befreundet. Rashid, den Sohn einer libanesisch-palästinensischen Familie, lernte sie als 10-Jährigen kennen.
Der Junge fühlt sich weder in der deutschen noch in der von tradierten Ehr- und Wertvorstellungen bestimmten Kultur seiner Eltern zu Hause – in Chatrooms nennt er sich „Arabboy“. Er lernt sehr früh, dass es in seinem Milieu, in der das Austragen von Konflikten mittels Sprache keine Möglichkeit darstellt, nur zwei Alternativen gibt:
Entweder man ist Opfer, d.h. den Aggressionen und der Brutalität seiner Umgebung allzeit wehrlos ausgeliefert oder man wird selbst zum Täter, d.h. jemand, der sich hemmungslos und ggf. gewaltsam seine Stellung und sein vermeintliches Recht erkämpft und verteidigt.
Rashid erlebt früh, dass der Vater immer wieder mittels körperlicher Züchtigungen Gehorsam von Frau und Kindern einfordert. Er selbst macht schon als Junge die Erfahrung, dass ihm Gewalt und Brutalität Anerkennung in seiner Clique verschaffen, in der er bald die Führungsrolle übernimmt. Seine kriminelle Karriere nimmt ihren Lauf, und er rutscht immer tiefer ab, wird schließlich auch drogenabhängig. Durch die Sucht jedoch verliert er zunehmend die Kontrolle über sich und sein Leben. Er wird verhaftet und – gerade 18 geworden - in die Türkei abgeschoben, wo Großeltern und ein Onkel mit seiner Familie leben. Aber auch dort gelingt es ihm nicht Fuß zu fassen.
Resümee: Die Autorin hat in ihrem Buch wahre Begebenheiten verarbeitet, zu ihrem und zum Schutz der Betroffenen lediglich Namen und Äußerlichkeiten verändert, Geschehnisse an andere Plätze von Neukölln gelegt und gelegentlich Episoden aus anderen Biographien ergänzt.
Ihrer Ansicht nach hätte Rashid durchaus die Kapazität gehabt, etwas Vernünftiges aus seinem Leben zu machen – seine familiäre Situation und sein Umfeld jedoch standen einer positiven Entwicklung entgegen: Deutsche galten als verachtenswert, sich mit ihnen einzulassen, war Sünde; allein die eigenen kulturellen Ehr- und Wertvorstellen waren Richtschnur für Handeln und Denken.
Der Leser fragt sich nach der Lektüre, ob es für Rashid unter den gegebenen Grundvoraussetzungen an irgendeinem Punkt wirklich einen Wendepunkt hätte geben können oder ob sein Lebensweg ausweglos vorbestimmt war. Sicher gibt es verschiedene Lösungsansätze, aber ob sie realistisch sind und zum gewünschten Erfolg geführt hätten …?
Ich halte dieses Werk – ebenso wie „ArabQueen“ (siehe oben) – für eine hervorragende Ergänzung zu dem am 20. Sept. rezensierten Buschkowsky-Buch; oder verhält es sich eher umgekehrt? Unstrittig ist, dass sich die Darstellungen und geschilderten Ereignisse sehr ähneln; und wenn der Politiker hier nicht allzu sehr Anleihe bei Güner Balci gemacht hat, kann man wohl nicht umhin einzusehen, dass die beschriebenen Neuköllner Verhältnisse eine erschreckende Realität abbilden.
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