Eine Weihnachtsgeschichte
Der reiche Herr Lemm wohnt mit seiner Familie in Berlin-Dahlem und hat beim Studentenwerk einen Weihnachts-
mann zur Bescherung seiner beiden Kinder am 24.12. bestellt.
Als dieser wie verabredet pünktlich um 18 Uhr vor der Tür steht, mahnen Lemms zur Eile, denn es ist bereits alles für das anschließende Festmahl mit Geschäftsfreunden vorbereitet.
Doch der gekaufte Weihnachtsmann hat ganz eigene Pläne:
Er gestaltet die Bescherung nicht nur pädagogisch wertvoll – wobei der Herr Papa ordentlich sein Fett abbekommt -, nein, es erscheinen nacheinander auch noch Knecht Ruprecht, Nikolaus und der Erzengel Gabriel zur Ver-stärkung. Den Kindern gefällt's, Herr Lemm wird immer ungehaltener, seine Gattin verzweifelt, zumal die „himmlischen“ Gäste sich am edlen Whisky sowie an den kalten Platten bedienen und gar nicht mehr gehen wollen.
Und so kostet es den reichen Herrn Lemm ein hübsches Sümmchen, das Quartett vorm Eintreffen seiner Geschäftsfreunde wieder loszuwerden.
Moral: „In einer Gesellschaft, deren Losung 'Hastuwasbistuwas' heißt, kann auch der Weihnachtsmann nicht sauber bleiben.“ (Seite 61)
Resümee: Die Geschichte ist zum ersten Mal 1966 im Dezember-Heft der Satire-Zeitschrift „Pardon“ erschienen; Gernhardt wollte damit die marx-istische Revolutions-Devise „Expropriation der Expropriateure“ (die Ent-eignung derer, die bislang das Volk enteignet haben) satirisch umsetzen.
Nicht deswegen lese ich die Geschichte immer wieder gerne, sondern vor allem, weil sie den Erwachsenen mit ihren zum Teil unreflektierten Er-ziehungs-Maximen den Spiegel vorhält.
Für die 64-seitige Buchausgabe hat der im Jahre 2006 verstorbene Autor
sie eigenhändig bebildert, sodass das Lesevergnügen – auch eingedenk
von Großdruck, breitem Rand und weitem Zeilenabstand – etwa 20 Minuten dauert. 8 Euro finde ich für die Hardcover-Ausgabe zwar einen horrenden Preis, mit häufigem Lesen amortisiert sich die Ausgabe jedoch.
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