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Elmar Traks

Elmar Traks

Sueße, Thorsten – Toter Lehrer, guter Lehrer (2012)

Ein Hannover-Krimi

 

Der 18-jährige Gymnasiast Sebastian Rokahr wird in seiner Wohnung tot aufgefunden – jemand hat ihn bestialisch ermordet. In Rückblenden erfährt der Leser Einzelheiten aus dem Leben des Schülers: Da er außerordentlich intelligent ist, braucht er sich um das Bestehen des Abiturs keine Sorgen zu machen, kann es sich daher leisten, oft das Wo- chenende zu verlängern, indem er freitags fehlt. Ansonsten …

… ist er im Kaufhaus beim Stehlen einer Geldbörse erwischt worden und beteiligt sich an Drogendeals, konsumiert selbst Ecstasy.

Mit seinen „Geschäftspartnern“ Holger Manthey und Miguel Baraja stiehlt er elektronische Geräte aus einer Firma, weigert sich jedoch, auch bei einem Einbruch ins Sprachlabor seiner Schule mitzumachen, was Holger und Miguel ihm ziemlich übel nehmen.

Dass sein Lehrer Carsten Sonnenberg überhaupt nicht durchsetzungsfähig ist, nutzt Sebastian aus, indem er ihn immer wieder mit Psycho-“Spielchen“ piesackt. Er schafft es auf einer Klassenfahrt sogar, seine Mitschülerin Irina anzustiften, Sonnenberg in eine eindeutig sexuell motivierte Situation mit ihr zu manövrieren, die er mit dem Handy filmt. Anschließend erpresst er den Lehrer mit dem Video und äußert ihm gegenüber, dass nur ein toter Lehrer ein guter Lehrer sei.

Sonnenbergs Frau Anna unterrichtet am gleichen Gymnasium und ist das genaue Gegenteil von ihrem Mann: Eine engagierte Pädagogin, die von den Schülern als Autorität anerkannt wird. Dazu ist sie noch ausgesprochen at- traktiv und Sebastians Schwarm, den er unbedingt für sich gewinnen möchte; jedoch vergreift er sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes.

Und auch mit Alexej, Irinas vor Gewalt nicht zurückschreckendem Bruder, hat er Stress: Dieser sieht es gar nicht gerne, dass seine Schwester sich mit Se- bastian trifft, und droht ihm.

Kurz: Sebastian Rokahr war vielen seiner Mitmenschen nicht uneinge- schränkt sympathisch.

 

Als Holger Manthey und später auch Miguel Baraja auf die gleiche Weise

wie ihr Kumpel ermordet aufgefunden werden, glaubt die Polizei an einen Serientäter.

Doch wer kommt als Mörder in Frage? Darüber rätseln viele Personen, und Nachforschungen unternimmt nicht nur die Polizei, sondern es beteiligen sich auch der Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes sowie die Lehrerin Anna Sonnenberg und ihr Kollege Bernd daran.

Im Gegensatz zu den Ermittlern ist dem Leser ziemlich schnell klar, dass es einen Bezug zu jemanden geben muss, der die Plansprache Esperanto recht gut beherrscht, die Anna unterrichtet und die nicht nur Sebastian Rokahr nahezu perfekt sprach.

Und dann gibt es einen weiteren Toten ...

 

Resümee: Zunächst das Positive: Soweit ich es beurteilen kann, sind die Arbeit der Polizei und des Sozialpsychiatrischen Dienstes sehr realistisch – zumindest glaubwürdig - dargestellt. Kein Wunder, denn der Autor ist nicht nur Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, sondern auch Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Region Hannover.

 

Obwohl natürlich durchaus willens, noch mehr Lob zu spenden, bin ich dazu bei diesem Buch jedoch wirklich nicht in der Lage. Die Kritikpunkte im Einzelnen:

 

• Wechselnde Erzählperspektiven machen das Handeln und die Motive der Schlüsselfiguren schnell durchschaubar. Kein Wunder, denn wenn mehrere Beteiligte ihre persönliche Sicht bestimmter Ereignisse darlegen, setzt sich für den mitdenkenden und psychologisch nicht ganz unbedarften Leser schnell ein schlüssiges Gesamtbild zusammen. Spannung kann so nicht entstehen.

 

• Dem Autor ist offenbar bekannt, dass durch detaillierte Beschreibungen des Umfelds der Akteure das auf einen Spannungshöhepunkt zustrebende Geschehen kurzzeitig unterbrochen und die Dramatik auf diese Weise effektvoll verstärkt werden kann. So weit, so gut.

Entgangen ist ihm allerdings offenbar, dass diese Ablenkung sehr direkt mit dem Geschehen und seinen Personen verbunden bleiben und atmosphä- risch dicht sein muss. Wenn Anna und Kollege Bernd z.B. im Rahmen ihrer Nachforschungen in einer Kneipe auf jemanden warten, finde ich es nicht so furchtbar prickelnd, wenn mir plötzlich völlig zusammenhanglos und ohne jede Bedeutung fürs gegenwärtige, vorherige und weitere Geschehen erzählt wird, welche Gerichte sich alle auf der Speisekarte befinden. Oder wenn jemand mit dem Auto von A nach B fährt, ist es ein echter Spannungskiller, wenn ich en détail mitgeteilt bekomme, an welcher Ampel der Fahrer halten, wo er wie abbiegen muss und was man jeweils aus dem Wagenfenster he- raus sieht. Einzelheiten zu hannoverschen Örtlichkeiten – gelegentlich noch mit geschichtlichem Hintergrund - mögen vielleicht für Einheimische interes- sant sein, haben aber in diesem Umfang nichts in einem Krimi zu suchen, denn statt Spannung wird dadurch gähnende Langeweile erzeugt.

 

• Der holprige Stil tat mir als Deutsch-Lehrerin schon fast körperlich weh:

Hauptsatz reiht sich an Hauptsatz, bestenfalls ist ein Nebensatz eingefügt.

Wortwiederholungen treten durchgängig so massiv auf, als gäbe es kein Synonym-Wörterbuch.

Viele Szenen dieses Krimis (!) sind im sachlichen, teilweise sogar geschraub- ten Stil eines akribisch korrekten Berichts geschrieben.

Es ist in der heutigen Zeit auch nicht unbedingt erforderlich, den Leser der- gestalt aufzuklären, dass man z.B. vom „Internetdienst 'Street View' “, von der „Suchmaschine 'Google' “ oder vom „Motorrad- und Rockerclub 'Hells Angels' “ schreibt. Aber das ist vielleicht Ansichtssache und möglicherweise gilt hier „das Gegenteil von 'gut' ist 'gut gemeint' “.

 

• Den absoluten Hammer fand ich aber, dass die Schlüsselszenen der Handlung auf den letzten 100 Seiten noch einmal komplett identisch wieder- holt werden, nur, dass der große Unbekannte, d.h. der Täter, jetzt einen Namen hat. Da der Leser den Inhalt wie gesagt schon kennt, kann man sich dieses letzte Viertel des Buches getrost schenken, zumal auch die wenigen, noch in der Gegenwart spielenden Ereignisse absolut vorhersehbar sind.

 

Kurz: möglicherweise bedingt interessant für Leute, die auf unterhaltsame Weise etwas über Hannover erfahren und sich keinen Stadtführer kaufen wollen; für jene, die einen Krimi erwarten, jedoch ein totaler Flop.

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