Der 39-jährige Valentin Gaukler war einst Polizist, musste aber wegen „einer Kleinigkeit“ den Dienst quittieren und schulte daraufhin in einem Fernlehrgang zum Privatdetektiv um. Er wohnt in einem Nebenzimmer des „Blauen Ochsen“, einem Lokal in München Giesing, und hilft bei Bedarf dem 75 Jahre alten Wirt Ludwig. Dem gehört nicht nur die Gaststätte, sondern auch das Haus mit den da- rüberliegenden Wohnungen.
So unterschiedlich seine Mieter sind, so würde man sie doch alle landläufig als „einfache“ Leute bezeichnen:
Im Souterrain befinden sich Probenraum und Wohnung von „Mensch, Schau- spieler, Komiker“ (Seite 40) Otto Harn, genannt Harnotto.
Witwe Frauke, die ständig auf der Suche nach reichen Männern ist, hat im 1. Stock ihr Zuhause und unterm Dach ist die 83-jährige Lore Frenz mit ihren 7 Katzen untergebracht.
Unten im Haus befindet sich noch Klara Imhof's Nagelstudio. Sie selbst wohnt mit Helmut Sikora, Spitzname „Nudel“, im 3. Stock. Bei ihnen lebt auch Klara's 14-jähriger Sohn Friedrich Karl Alexander, kurz Frika.
Alle Mietparteien und Stammgäste der Wirtschaft halten wie eine große Fa- milie zusammen:
Einer ist für den anderen da, man kennt sich mit allen Vorzügen und Schwä- chen, teilt Freud und Leid miteinander. Probleme, egal ob große oder kleine, sind dazu da, gemeinsam gelöst zu werden, und bei Ludwig und Valentin laufen alle Fäden zusammen.
Doch eines Tages sind Valtentin's Fähigkeiten als Privatdetektiv gefordert:
Frika ist verschwunden! Als er irgendwann völlig verstört wieder auftaucht, gibt Valentin keine Ruhe, bis er aus ihm herausbekommen hat, was passiert ist: Der Junge hat beobachtet, wie Leichen in Beton eingemauert wurden. Nicht nur Zeuge Frika lebt fortan gefährlich, sondern auch Valentin, der sich auf die Suche nach den Tätern begibt und ihnen bald auf der Spur ist.
Dann bekommt Ludwig auch noch eines Tages ein Schreiben, in dem eine private Religionsstiftung ihm für den Verkauf seines Hauses 100.000 Euro anbietet. Als Ludwig nicht darauf eingeht, greifen die potenziellen Investoren zu äußerst unfairen Mitteln, um ihn zu dem Geschäft zu nötigen. Der ge- stresste Wirt und Hauseigentümer wird krank, außerdem ist er der vielen Arbeit tagein tagaus allmählich überdrüssig und daher schließlich fast ge- neigt, doch auf das Angebot des Investors einzugehen.
Aber der „Großfamilie“ ist nur allzu klar, was ein Verkauf bedeuten würde: Abriss, Bau von Eigentumswohnungen und Szene-Lokalen, in der Folge überhöhte Preise – kurz: Verlust ihrer Bleibe. Daher hat die Angelegenheit oberste Priorität – eine Lösung muss her, damit Ludwig das Gebäude behält. Und mit dem neuen Koch Rüdiger wird der „Blaue Ochse“ schließlich bald selbst zur Location.
Resümee: Ein Krimi über Gentrifizierung *) am Beispiel des Münchener Stadtteils Giesing **) - ein aktuelles Thema wurde in diesem Buch auf unterhaltsame Weise sehr anschaulich und nachvollziehbar umgesetzt!
Der Leser erhält zunächst Einblicke in das tägliche Leben der „einfachen“ Hausgemeinschaft. Dabei wird deutlich, dass – so unterschiedlich die Be- wohner auch sind - alle in einer eingespielten, symbiotischen Beziehung leben.
Diese droht nun durch das lukrative Angebot eines Investors und dessen unlautere Methoden zerstört zu werden:
Der Verkauf des Hauses, sein Abriss und /oder eine Sanierung würden zwangsläufig das Aus für das Sozialgefüge bedeuten. Nicht nur den Be- troffenen sind die damit verbundenen persönlichen Konsequenzen ziemlich klar, auch der Leser kann sie sich lebhaft ausmalen:
Ein Neuanfang in einer anderen Umgebung scheint für jeden Einzelnen nur schwer umsetzbar. Das unterstreicht der Autor dadurch, dass er Ludwig seinen lang gehegten Wunsch, „auszusteigen“ und nach Griechenland auszuwandern, in buchstäblich allerletzter Minute doch noch aufgeben und
in sein altes Zuhause zurückkehren lässt.
Im Mittelpunkt des gesamten Geschehens steht Valentin Gaukler:
ehemaliger Polizist, nun Privatdetektiv, gradlinig, scharfsinnig, frech, mit Hang zur Anarchie, Womanizer. Er trägt nicht nur die Handlung, sondern sorgt auch verbal für beste Unterhaltung – manchmal droht er allerdings
die Grenze zum allzu Deftigen und Kalauerhaften zu überschreiten.
Fazit: Dem Autor ist die Gratwanderung, dem Leser ein anspruchsvolles Thema unterhaltsam nahe zu bringen, hervorragend geglückt. Ich könnte mir auch gut eine Verfilmung des Buches vorstellen.
Nur ein Verbesserungsvorschlag:
Der Sachverhalt an sich, dass sich die soziale Struktur eines Stadtteils durch Zuzug sozial höherer Schichten und in der Folge Abwanderung der „einfachen“ Leute verändert, war mir bekannt – jedoch kannte ich nicht den Begriff „Gentrifizierung“. Da ich möglicherweise kein Einzelfall bin, wäre es hilfreich gewesen, wenn eine kurze Definition dem Buch ebenso vorangestellt worden wäre wie ein paar Worte zum Münchener Stadtteil Giesing.
*) Das Wort „Gentrifizierung“ ist vom englischen Begriff „gentry“
(= niederer Adel) abgeleitet.
Er meint die soziale Umstrukturierung eines Stadtteils durch den Zuzug wohl- habender Bevölkerungsgruppen. Da dies u.a. den Anstieg des allgemeinen Preisniveaus, vor allem auch der Mieten, zur Folge hat, werden die sozial schwächeren Schichten aus der betreffenden Gegend verdrängt.
Der Prozess wird häufig dadurch in Gang gesetzt, dass Investoren Möglich- keiten der Wertsteigung sehen, Häuser aufkaufen, von Grund auf sanieren und die Mieten danach drastisch anheben. Die alten Eigentümer und Mieter werden dabei oft mit äußerst unfairen Methoden aus ihren Wohnungen ge- nötigt.
**) Giesing ist ein Stadtteil in Münchens Südosten. Einst ein reines Arbeiter- viertel, ist es mittlerweile „- nicht nur, was die Mieten betrifft – obszön teuer geworden“. (L.M. Seidl in „Die Tageszeitung, junge Welt“ vom 23.07. 2014). Entscheidende Schritte in dieser Entwicklung waren zum einen die Aus- schreibung als Sanierungsgebiet im Jahr 2005 und die Sprengung des Agfa-Hochhauses 2008. Es wich dem „Parkviertel Giesing“ mit teuren Büro- und Gewerbeflächen sowie Wohnungen.
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