Seit Clarissa im Vollrausch – höchstwahrscheinlich wurde sie jedoch narkotisiert – eine Nacht mit Rafe verbracht hat, wird
sie ihn nicht mehr los. Er stalkt, d. h. verfolgt und bedrängt
sie gegen ihren erklärten Willen mit zunehmender Intensität, wobei ihn die Zurückweisung seines Opfers nur noch mehr anspornt.
Seine Handlungen decken bald das ganze in Bezug auf Stalking einschlägig bekannte Spektrum ab:
unzählige Telefonanrufe, Nachrichten auf dem Anrufbeantworter und Handy sowie wiederholte „Liebesbekundungen“ durch Geschenke. Rafe beobachtet Clarissa permanent, lauert ihr auf und sammelt, wo immer möglich – und sei es im Hausmüll – Informationen über sie. Auch davor, sich in ihren Bekann-tenkreis einzuschleusen, schreckt er nicht zurück.
Die Frau leidet zunehmend psychisch und physisch unter der permanenten Verletzung ihrer Privatsphäre und gibt immer mehr ihre Selbstbestimmung auf.
Während Außenstehende sie um den anscheinend fürsorglichen „Verehrer“ beneiden, empfindet sie ihre Situation als immer bedrohlicher und fürchtet schließlich um ihr Leben. Dies umso mehr, weil sie herausbekommt, dass eine Ex-Freundin des Stalkers seit Jahren vermisst wird.
Parallel zu der albtraumhaften Entwicklung ihrer Lebenssituation nimmt Clarissa als Mitglied einer Geschworenen-Jury an dem Vergewaltigungs-Prozess um eine Prostituierte teil. Im Verlauf der Verhandlung zieht sie immer öfter Schlüsse bzgl. einer möglichen Bewertung ihrer eigenen Er-lebnisse mit Rafe durch Vertreter der Justiz. Sie kommt schließlich zu der Erkenntnis, dass, was immer sie tut, ihr Verhalten stets so interpretiert werden wird, dass der Stalker gewinnt.
Wird Clarissa sich noch rechtzeitig aus diesem Albtraum befreien können?
Resümee: Das Buch wird als „Thriller“ vermarktet, was ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Ich würde es schlicht als „Roman“ be-zeichnen, der die lehrbuchgemäße Entwicklung der „Beziehung“ zwischen einem Stalker und seinem Opfer in unterhaltsamer Form beschreibt.
Warum „lehrbuchgemäß“? Nun: Das Opfer Clarissa beruft sich stets auf Bro-schüren und Ratgeber zum Umgang mit Stalkern, indem sie die jeweiligen Quellen gedanklich zitiert (für den Leser am Kursiv-Druck erkennbar) und ihr Verhalten gegenüber Rafe danach auszurichten versucht.
Dessen Tun entwickelt sich wie in einschlägigen Informations-Quellen, z.B. Wikipedia, beschrieben.
In mir verfestigte sich immer mehr der Eindruck, dass die Autorin Schritt für Schritt stur die einzelnen Eskalationsstufen eines Aktion-Reaktion-Schemas abgearbeit hat.
Die Handlung ist viel zu sachlich ge- oder besser: beschrieben.
Besonders für einen Leser, der sich bereits mit dem Thema „Stalking“ aus-einandergesetzt hat, erinnert das Werk in langen Strecken an die protokol-lierten Erfahrungen des Opfers, nicht an einen Roman.
Dies umso mehr, als der Handlungsstrang, in dem es um die aktuelle Entwicklung der Beziehung zwischen Clarissa und Rafe geht, im Präsens geschrieben ist: Erstere wendet sich hier tatsächlich nach Art von Tagebuch-Aufzeichnungen in der Du-Form an ihren Verfolger. Ganz zum Schluss ändert sich der Adressat dann.
Eine andere Erzählebene in der Er-Form dreht sich primär um den Verge-waltigungs-Prozess, wobei der Leser alles mit der Tat Zusammenhängende ausschließlich durch Aussagen der Zeugen, Verdächtigen und des Opfers erfährt. Hier kommt es der Autorin ganz offensichtlich darauf an, dass Clarissa als Zuhörerin Parallelen zu ihrer eigenen Situation zieht und ihre Chancen, in einem Prozess gegen Rafe Gerechtigkeit zu erfahren, immer mehr schwinden sieht.
Ein dritter Handlungsstrang schließlich thematisiert Ereignisse in Clarissas näherer Vergangenheit.
Fazit: Eine gute Möglichkeit, um sich in unterhaltsamer Form über das
Thema „Stalking“ zu informieren – mehr nicht. Das erkennt man schon daran, dass der Plot (siehe Inhaltsangabe) in seiner Allgemeingültigkeit
auf unzählige Werke zum Thema „Stalking“ übertragbar ist – einzige Ausnahme bildet das Geschehen im Vergewaltigungs-Prozess.
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