Tödliche Liebe - Geschichten aus dem wahren Leben
Lydia Benecke ist Psychologin und arbeitet als Therapeutin u.a. in einer Einrichtung des Strafvollzugs. In diesem Buch beschreibt und analysiert sie auf ca. 500 Seiten sadistisches Verhalten. Als Sadisten werden Menschen bezeichnet, die Freude
und (sexuelle) Befriedigung durch die Demütigung anderer erfahren. Dies geht in der Regel einher mit psychischen und / oder physischen Schmerzen der Opfer.
Gut ein Drittel des Werkes nimmt dabei die ausführlich erzählte Lebens-geschichte von Evelyn Nesbit und deren detaillierte Analyse ein. Sie war nacheinander mit 3 Männern liiert - allesamt hatten schwere Persönlichkeits-störungen: Der erste war ein Narzisst wie auch der folgende, der zusätzlich noch ein Borderline-Syndrom hatte, und beim dritten kamen noch Merkmale einer antisozialen Persönlichkeit hinzu. In der Betrachtung wird nicht nur deutlich, warum ihre Partner in der beschriebenen Weise (re-) agierten, sondern auch, warum Evelyn Nesbit trotz vorangegangener Negativ-Er-fahrungen immer wieder auf einen ähnlichen Typ Mann "hereinfiel". Das "Schlüssel-Schloss"-Prinzip, also das Zusammenspiel mit bestimmten Merk-malen ihres eigenen Charakters, spielte hierbei eine wesentliche Rolle.
Den umfangreichsten Teil des Buches nehmen die unterschiedlichsten Kon-stellationen beim BDSM ein ( BD = Bondage & Discipline, DS = Dominance & Submission, SM = Sadism & Masochism). Die Autorin spannt den Bogen von Paaren, die im Rahmen der verschiedenen Varianten einvernehmlichen Sex praktizieren, über nicht einvernehmliche Praktiken bis hin zu tödlichen Aus-gängen erotischer Spiele und kriminellen, sexuell-sadistisch motivierten Taten. Auch Nekrophilie, den Sex mit Leichen, thematisiert sie.
Resümee: Dieses Sachbuch bietet eine Mischung aus Unterhaltung und fachwissenschaftlichem Anspruch, wobei letzterer über weite Strecken dominiert. Die Analyse der einzelnen Fälle und Handlungen sowie Beschrei-bung der Persönlichkeiten basiert auf wissenschaftlich belegten Fakten und wird ergänzt durch Erkenntnisse aus Lydia Beneckes eigener Praxis. Es ist also nichts zum Einfach-Herunter-Lesen, sondern erfordert meist konzen-triertes Mitdenken - Grundkenntnisse zu den einzelnen Themen sind dabei von Vorteil.
Den ersten Teil - über Evelyn Nesbit und ihre Männer - fand ich in Bezug auf Beschreibung und Analye ausgesprochen interessant und spannend.
Ohne Zweifel gehört das Thema BDSM auch dazu, wenn man über Sadis-mus und "Tödliche Liebe" (siehe Untertitel) spricht. Da es jedoch nur einen - wie ich vermute - geringen Teil der Leserschaft betrifft, beim weitaus grö-ßeren daher die Transfer-Möglichkeit auf sich selbst und das Umfeld fehlt, interessiert es in dieser Ausführlichkeit höchstwahrscheinlich nur die wenigs-ten. Eine Straffung wäre aus diesem Grunde meines Erachtens dringend nötig gewesen, um den Leser "bei der Stange" zu halten, statt phasenweise in Richtung Fachbuch abzudriften.
Stattdessen hätte ich es für sehr wünschenswert gehalten, sich nicht nur
auf Beschreibung und Analyse zu beschränken, sondern zumindest in kurzer Form auch Hinweise zu Therapie-Möglichkeiten und zum Umgang mit Sadisten und Menschen mit den geschilderten Persönlichkeitsstörungen zu geben.
Teilweise fehlte der rote Faden: Die Autorin macht Einschübe, greift dann vorher Gesagtes noch einmal auf, wiederholt sich und gibt für das Verständ-nis notwendige Erläuterungen zu spät - so wurde z. B. die Abkürzung BDSM erst nach dem wiederholten Gebrauch in vorangegangenen Kapiteln erklärt.
Dass sie inhaltlich häufig auf ihr 2013 erschienenes Buch "Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen" verweist, mag seine Berechtigung haben. Da sie mehrfach betont, sie habe bestimmte - auch für "Sadisten" relevante - Sachverhalte dort beschrieben und wiederhole sie daher an dieser Stelle nicht, drängt sich allerdings der Verdacht einer Marketing-Strategie auf.
Fazit: Ein Sachbuch, phasenweise mit Tendenz zum Fachbuch, das nur in
der ersten Hälfte für eine breite Leserschaft interessant sein dürfte.
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