Ein Hospiz. Zwölf Menschen. Ein Mörder.
Roman
Minnie ist 84 Jahre alt, als bei ihr Vaginalkrebs im Endstadium diagnostiziert wird - ihre verbleibende Lebenszeit ist überschaubar.
Im Krankenhaus kann medizinisch nichts mehr für sie getan werden, ihre beiden Töchter wohnen im Ausland, sie lebt alleine und das Risiko von plötzlich auftretenden schweren Komplikationen ist hoch. Daher raten ihr langjähriger Hausarzt und der Psychologe des Hospizes "Frau Holle" drin-gend zur Aufnahme in ebendieser Einrichtung. Dort könne die alte Dame optimal behandelt, gepflegt und versorgt werden und würde auch ein großes Maß an Zuwendung und Freiraum erhalten.
Nach dem ausführlichen, sehr persönlichen Beratungsgespräch begibt Minnie sich tatsächlich in das Hospiz am Rande der Hamburger Amüsier-meile, wo sie sich in einem der 12 Zimmer einrichtet. In der freundlich-fürsorglichen, fast schon familiären Atmosphäre fühlt sie sich sofort gut aufgehoben und lernt bald auch ihre Mitpatienten und einen Teil der Angehörigen kennen.
Doch so hell und positiv die Stimmung im Großen und Ganzen tagsüber ist, so unheimlich ist sie manchmal nachts: Dann nämlich sieht Minnie gelegent-lich einen mysteriösen Kindgreis durch die Gänge huschen.
Außerdem ereignen sich plötzlich merkwürdige Todesfälle. Obwohl das Ster-ben in einem Hospiz zweifelsohne zum Alltag gehört, glaubt die alte Dame auf Grund der Umstände nicht an natürliche Todesursachen, sondern ist davon überzeugt, dass ein Serienmörder sein Unwesen treibt.
Sie ist fest entschlossen, diesen vor ihrem Ableben zu stellen - kein leichtes Unterfangen, auch, weil die Körper im Hospiz Verstorbener nicht obduziert werden.
Minnie "Miss Marple" kommt hinter so manches Geheimnis ihrer Mitbewoh-ner, erhält tatkräftige Unterstützung durch den Angehörigen eines Patienten, gerät aber zu guter Letzt noch selbst in höchste Gefahr.
Resümee: Das Geschehen spielt fast ausschließlich im fiktiven Hospiz
"Frau Holle", in dem sich immer 12 Patienten aufhalten - ist jemand ge-storben, rückt ein anderer Schwerkranker nach.
In der letzten Phase ihres Lebens treffen hier Alte und Junge, Männer und Frauen, Hetero- und Homosexuelle, Gläubige und Ungläubige aus allen sozialen Schichten mit den unterschiedlichsten Lebensläufen, Wesensmerk-malen und Einstellungen aufeinander - der Tod macht vor niemandem Halt.
Allen gemeinsam ist, dass sie im Angesicht des nahen Todes Bilanz ziehen und dabei sich selbst, Angehörigen und Mitpatienten gegenüber recht ehr-lich sind, wenn es darum geht, sein Innerstes offenzulegen und Geheim-nisse sowie Lebenslügen preiszugeben.
Mike Powelz stellt, eingebettet in die Romanhandlung, die Behandlung Sterbenskranker in Krankenhaus und Hospiz gegenüber, thematisiert das Geschäft mit Sterben und Tod, stellt verschiedene Philosophien über das Leben vor und nach dem Tod vor.
Welche Bedürfnisse haben die Kranken in dieser Phase? Wie gehen sie
und ihre Angehörigen mit der Situation um? Auch hier gibt es die unter-schiedlichsten Varianten. Als Quintessenz mag eine Kapitelüberschrift gelten: "Tausend Wege führen zum Tod".
Der Handlung liegen unzählige Gespräche des Autors mit Todkranken, Hospiz-Patienten und deren Angehörigen, Ärzten, Fachbetreuern und Pflegepersonal zugrunde, aber auch ein intensives Quellenstudium zu
den Themen "Tod" und "Hospiz".
Authentizität erhält der Roman auch dadurch, dass der Autor, seine Schwester und Mutter sowie sein Vater als Protagonisten auftauchen: Letzterer wurde selbst vor seinem Tod vier Wochen lang in einem Hospiz betreut; der Sterbeprozess ist genau wie im Buch geschildert, verlaufen.
Auch der bekannten Rückführungs-Expertin Ursula Demarmels ist eine
Rolle zugedacht.
Der Buchtitel "Die Flockenleserin" beruht auf der Tatsache, dass manche Sterbende kurz vor ihrem Tod "Flocken lesen": Ihre Finger zittern dann unruhig über der Bettdecke oder in der Luft, als wollten sie nach Schnee-flocken greifen. Der Fachbegriff hierfür heißt "Krozidismus".
Fazit: Obwohl als unterhaltsamer Roman konzipiert, ist dies ein sehr dichtes
Werk zum Themenkomplex "Sterben - Tod - Hospiz". Es ist dazu geeignet, mögliche Ängste und bestehende Vorurteile gegenüber "Sterbehäusern" auszumerzen.
Keineswegs aufdringlich, sondern en passant gibt Powelz auch noch themenbezogene Literatur- und Filmempfehlungen.
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Mike Powelz (Mittwoch, 11 November 2015 06:51)
Liebe Annette,
vielen herzlichen Dank für Ihre Buchrezension. Ich freue mich, dass Sie Minnie begleitet haben und über Ihre schönen Worte. Sie haben das ganz toll ausgedrückt. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute.
Lieben Gruß,
Mike Powelz