Wenn Menschen wie du und ich zu Tätern werden
Fanny (um die 20) lebt mit zwei jüngeren Schwestern bei ihrer Mutter – der Vater hat die Familie verlassen.
Eines Morgens klingelt es kurz vor 6 Uhr an der Haustür: Kriminalbeamte holen Fanny aus dem Bett und teilen ihr mit, dass sie sie wegen des Verdachts, eine schwere Straftat begangen zu haben, mitnehmen müssen. Es erfolgt außerdem eine richterlich angeordnete Durchsuchung des Hauses und Pkws.
Auf dem Revier erzählt die junge Frau ihre Geschichte:
Die berufliche Pleite des Vaters trieb ihn in die Alkohol- und Spielsucht, die Familie in der Folge in den finanziellen Ruin und die Mutter in Depressionen. Fanny selbst tätigte immer wieder Internetkäufe, die sie nicht bezahlen konnte; Mahnungen, Briefe von Inkasso-Unternehmen, Gerichtsvollziehern und Anwälten versteckte sie ungeöffnet vor der Mutter.
Doch schließlich lernte sie Saladin Dragoti kennen, mit dem sie reden konnte, und der ihr einen Ausweg aus der finanziellen Misere anbot – ihr Verhängnis.
Resümee: Genau wie die Geschichte um Sven, den Protagonisten in dem Buch „Der doch nicht“ des gleichen Autors (Rezension vom 3. Dez. 2018), beruht auch diese ca. 40 Seiten umfassende Erzählung auf einer wahren Begebenheit.
Es wird geschildert, wie eine junge, in schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen lebende Frau durch eine schicksalhafte Begegnung in die Kriminalität abrutscht.
Der Weg dorthin hat vor einem Jahr mit einer drastischen Wende in ihrem bis dahin „ganz normalen“ Leben begonnen, als nämlich die Firma des Vaters pleite macht. Das löst eine Kettenreaktion aus:
Der Vater rutscht immer mehr in eine Alkohol- und Spielsucht, was die ohnehin nicht in rosigen Verhältnissen lebende Familie vollends in den finanziellen Ruin treibt. Trennung der Eltern und Depressionen der Mutter mit Klinikaufenthalten sind die Folge. Und Fanny versucht, die Schicksalsschläge durch Internetkäufe zu kompensieren, die sie aber nicht bezahlen kann. Mahnungen, Zahlungsaufforderungen durch Inkasso-Unternehmen, Gerichtsvollzieher und Anwälte versteckt sie schließlich ungeöffnet und sieht keinen Ausweg aus ihrer Lage.
Bis hierhin alles in allem ein Schicksal, wie es so oder ähnlich jeden ereilen kann.
In dieser Situation kommt es zufällig zu der verhängnisvollen Begegnung Fannys mit Saladin Dragoti. Mit ihm kann sie reden, und er bietet der angesichts ihrer hohen Schulden mittlerweile verzweifelten, aber hilflosen jungen Frau einen Ausweg an. In ihrer Not erliegt sie der Versuchung, durch ein Verbrechen schnell zu Geld zu kommen.
An diesem Punkt hätte es mich interessiert, ob Fanny in ihrer desolaten Situation ernsthaft nach legalen Wegen aus ihrer Misere gesucht hat, z.B. mittels Jobsuche, Schuldnerberatung etc. Ich denke nicht, dennoch hätte eine diesbezügliche Information noch deutlicher gemacht, warum sie subjektiv gesehen nicht anders konnte, als Saladin Dragotis Vorschlag als einzigen Ausweg zu sehen.
Es würde also für den Leser letztlich die Frage beantworten, ob ihre Lage wirklich so aussichtslos gewesen ist, dass sie „zwangsläufig“ - bzw. schicksalhaft - in die Kriminalität abrutschen musste.
Ist Fanny ab ihrer Begegnung mit Saladin Dragoti wirklich „ein Mensch wie du und ich“? Die Antwort fällt mir schwer.
Noch aus einem anderen Grund hat mir diese Erzählung nicht so gut gefallen wie der bereits oben erwähnte 1. Band der Reihe mit dem Untertitel „Wenn Menschen wie du und ich zu Tätern werden“, denn der Schluss kommt mir viel zu abrupt:
Man erfährt noch, dass Fanny ohne langes Zögern Saladin die Mittäterschaft bei einem weiteren Verbrechen zusagt. Doch wie ist die Polizei auf ihre Spur gekommen? Das hat zwar nicht direkt etwas mit ihrem Schicksal zu tun, doch das Füllen dieser Lücke zwischen dem Verüben der Taten und ihrer Festnahme hätte die Erzählung abgerundet.
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