Wie Ärzte und Patienten mysteriösen Krankheiten auf die Schliche kommen.
Wahre Medizingeschichten – Vom NDR-Gesundheitsmagazin Visite
In dem Buch geht es um 12 wahre Krankengeschichten, die die Autoren vom Auftreten der ersten Symptome bis zum Stellen der richtigen Diagnose schildern. Gemeinsam ist allen Fällen, dass die Patienten eine lange Leidensgeschichte, wahre Arzt-Odyssee und unzählige Untersuchungen hinter sich haben, bis endlich mit einer erfolgreichen Therapie begonnen werden konnte.
Da geht es z.B. um
• eine Frau, deren Magenschmerzen und Erbrechen über Jahre hinweg immer schlimmer werden, bis sie so extrem sind, dass sie nichts mehr essen kann, stark abnimmt und künstlich ernährt werden muss.
• einen 31-jährigen Mann, der mit Verdacht auf einen schweren Herzinfarkt auf die Intensivstation kommt. Nach der Entlassung treibt er exzessiv Sport, doch die Gelenke machen nicht mit, schwellen stark an und schmerzen, sodass er kaum noch gehen kann. Außerdem plagen ihn Nacht für Nacht schwere Albträume und Atemaussetzer.
• ein Rentnerehepaar, das nicht wie geplant den langersehnten Ruhestand auf Reisen genießen kann: Der Mann wird immer gebrechlicher, ist bald auf Gehhilfen angewiesen und kann sich schließlich nur noch im Elektromobil fortbewegen. Hinzukommen immer wieder schwere epilepsieartige Krampfanfälle.
• eine Jugendliche, die in der elterlichen Wohnung bewusstlos zusammenbricht und ins Krankenhaus eingeliefert werden muss. Drogenkonsum kann ausgeschlossen werden, obwohl ihr schwankender Gang, eine lallende Artikulation und ein wirres Schriftbild zunächst den Verdacht aufkommen ließen.
• einen jungen Mann, dessen jahrelang wiederkehrenden Symptome auf Gasbrand hindeuten. Von zahlreichen Operationen ist der betroffene Arm schließlich so verunstaltet und vernarbt, dass er ihn kaum noch gebrauchen kann.
u.v.a. m.
Resümee: Die Autoren haben Kranke und Ärzte zu realen medizinischen Fällen befragt, die schier hoffnungslos schienen, und für die Patienten oft ein jahrelanges Martyrium bedeuteten, verbunden mit einer physisch und psychisch enorm belastenden Arzt-Odyssee.
Die Dokumention dieser Geschichten mitzuverfolgen, ist spannender und dramatischer als so mancher Krimi. Das Stellen der richtigen Diagnose, mit der dann endlich eine gezielte Therapie begonnen werden kann, ist über das normale Maß hinaus engagierten Medizinern, ihrem oft schon detektivischen Spürsinn oder auch „Kommissar Zufall“ zu verdanken.
Dabei handelt es sich oft um komplizierte Krankheiten, von denen weltweit nur ein paar Menschen betroffen sind, manchmal aber auch um gravierende Störungen im Körper, die schon durch eine Veränderung der Lebensweise behoben werden können.
Dabei ist es faszinierend und erschreckend zugleich zu erfahren, was für ein hochkomplexes Konstrukt der menschliche Körper ist, wie sämtliche Prozesse im Normalfall präzise ineinandergreifen und welch fatale Folgen es haben kann, wenn nur ein einziger Ablauf gestört ist. Das kann dann manchmal einen Dominoeffekt auslösen.
Gleiches gilt, wenn ein einziger Botenstoff das System so durcheinander-bringt, dass es zusammenbricht, oder Parasiten im Körper ein Eigenleben beginnen.
Auf der einen Seite ist es ermutigend, dass jeder der dargestellten Fälle – und schien er irgendwann auch noch so hoffnungslos – letztlich mit dem Stellen einer richtigen Diagnose und dem Beginn einer gezielten Therapie abgeschlossen werden konnte. Das ist engagierten Ärzten zu verdanken, die mit großem persönlichem Engagement und Zeitaufwand arbeiten sowie den Mut zu ungewöhnlichen Maßnahmen haben.
Auf der anderen Seite stimmt es bedenklich, dass dies die Ausnahme ist. Denn bedingt durch das deutsche Gesundheitssystem, sehen die meisten Ärzte bei der Behandlung von Patienten nur ihr Fachgebiet. Für interdisziplinäre Kommunikation fehlen vielfach Zeit und Energie, aber auch die Bereitschaft zu (unbezahltem) Engagement. Meist werden die Kranken mit unklarer Diagnose zwischen den Spezialisten hin- und hergeschoben, ohne dass sich jemand die Mühe macht, mal über den Tellerrand zu schauen mit dem Ziel, Zusammenhänge zu erkennen und den Menschen, der vor ihnen sitzt, als Ganzes zu betrachten.
Immens wichtig wäre auch das Anlegen einer Datenbank für schwierige medizinische Fälle / Diagnosen. Dies würde den Patienten viel Leiden und Ärzten Zeit ersparen.
Erwähnt sei noch, dass sich am Ende des Buches ein Glossar mit medizinischen Fachbegriffen befindet.
Fazit: auch für den medizinischen Laien ein höchst interessantes Buch,
in dem es den Autoren gelingt, die Krankengeschichten medizinisch fundiert, aber gleichzeitig unter Vermeidung jeglichen Voyeurismus spannend zu erzählen.
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