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Elmar Traks

Elmar Traks

Rückert, Sabine – Unrecht im Namen des Volkes (2007)

Ein Justizirrtum und seine Folgen

 

Amelie S. (* 1976) leidet unter ihrem tyrannischen Vater. Immer wieder kommt es zu Gewaltszenen und heftigem Streit, sodass sie im März 1994 zu den Großeltern ins Nachbarhaus zieht. Dort

leben auch ihr unverheirateter Onkel und eine Tante.

Doch nach einem Selbstmordversuch im Mai kommt Amelie zunächst

ins Krankenhaus, anschließend in die Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Dort erzählt sie von der häuslichen Gewalt und berichtet später von Vergewaltigungen durch den Vater. Diese schildert sie ihrer Lieblingskrankenschwester und Vertrauten detailreich und entschließt sich nach einem Gespräch mit dem Chefarzt im November zur Anzeige gegen den Vater wegen 10-facher Vergewaltigung.

 

Im Dezember deutet sie gegenüber derselben Krankenschwester auch sexuelle Belästigungen durch ihren Onkel an, spricht später von Vergewaltigungen und zeigt ihn im März 1995 deshalb an – wenige Tage bevor der Prozess gegen ihren Vater beginnt.

 

Obwohl vieles gegen die von Amelie vorgebrachten Taten spricht, wird ihr Vater Ende März zu 7 Jahren und der Onkel im Januar 1996 zu 4 ½ Jahren Gefängnis verurteilt. In beiden Fällen werden Revisionsverfahren verworfen.

 

Erst in Wiederaufnahme-Verfahren werden Amelies Onkel 2005 und ihr Vater 2006 wegen erwiesener Unschuld freigesprochen – nachdem sie die Freiheitsstrafen bereits vollständig verbüßt haben.

 

Resümee: Der gängige Ausdruck „recht haben und Recht bekommen ist zweierlei“ drückt ja bereits Unverständnis über so manches Urteil der Gerichtsbarkeit aus.

Dieses Buch jedoch erschüttert das Vertrauen in den Rechtsstaat in den Grundfesten und lässt den Leser fassungslos zurück. Das Bild der einäugigen bzw. blinden Justitia bekommt hier eine völlig neue Bedeutung. Denn in Amelies Fall haben sich die Vertreter des Staates völlig blind – d.h. nicht einmal das Offensichtliche sehend – auf die Seite des vermeintlichen Vergewaltigungsopfers gestellt.

 

Ohne große Mühe nämlich hätten die Rechtsvertreter – wären sie unvoreingenommen gewesen – Ungereimtheiten und Widersprüche in den Aussagen der Anklägerin sehen können. Denn alleine nach rechtsmedizinischen Grundlagen waren viele ihrer Angaben absolut absurd und bar jeder Realitätstauglichkeit.

Um zwecks Veranschaulichung nur ein paar zu nennen:

• Nach zahlreichen Vergewaltigungen durch 2 Männer und einem heftigen Abtreibungsversuch mit einem Kleiderbügel war Amelies Jungfernhäutchen immer noch unversehrt.

• Bei einer zeitnah nach einer Vergewaltigung erfolgten Untersuchung konnten keine Spermaspuren nachgewiesen werden.

• Niemand stutzte über die Zeitspanne von 19 Monaten zwischen der letzten Vergewaltigung und der erwähnten Schwangerschaft.

• Typische Vergewaltigungsverletzungen fehlten, obwohl sie nach dem vom angeblichen Opfer geschilderten Tatablauf hätten vorhanden sein müssen.

• Dafür wies es absolut untypische Blessuren auf, die auf eine Selbstbeibringung hätten deuten müssen.

 

Außerdem fand es vor Gericht keine Berücksichtigung, dass allein von der praktischen Durchführbarkeit her eine detailreich geschilderte Vergewaltigung im Wagen des Onkels nicht stattgefunden haben konnte.

 

Ein hieb- und stichfestes Alibi ließ man ebenso unter den Tisch fallen wie die Tatsache, dass der Angeklagte die Taten aus medizinischen Gründen gar nicht hätte begehen können.

 

Schuld an den Fehlurteilen trifft aber auch in erheblichem Maße das Personal der Kinder- und Jugendpsychiatrie, das über weite Strecken hochgradig unprofessionell agierte. Es drängte Amelie durch dilettantisches Verhalten nicht nur immer mehr in die Opferrolle, sondern trug durch enge und größtenteils rechtswidrige Zusammenarbeit mit der Polizei zur Verurteilung zweier unschuldiger Männer bei.

Eine Medikamenten- und Alkoholsucht wollte in der therapeutischen Einrichtung angeblich niemand erkannt haben, ebenso wenig eine schwere Borderline-Persönlichkeitsstörung mit den einschlägig bekannten Symptomen.

Stattdessen solidarisierte man sich unkritisch und fahrlässig mit der jungen Frau und „half“ ihr teilnahmsvoll, wo man nur konnte.

 

Und Amelie? Sie genoss die Beachtung und Das-im-Mittelpunkt-Stehen. Ihr primäres Bestreben war es, sich die Zuwendung der Therapeuten zu verschaffen und zu sichern. Dafür verletzte sie sich nicht nur immer wieder selbst und unternahm diverse Selbstmordversuche, sondern legte stark manipulatives Verhalten an den Tag und inszenierte immer wieder eindrucksvoll ihre Vergewaltigungsdramen.

 

Hätte sie ab einem bestimmten Punkt ihre Anschuldigungen noch zurückgezogen, dann wäre sie von einem Moment auf den anderen nicht mehr das bedauernswerte Opfer gewesen, dem viele Anteilnahme und Aufmerksamkeit entgegenbringen. Schlagartig hätte man sie dann als Lügnerin verdammt, von der sich alle abwenden.

 

Fazit: Sabine Rückert, Gerichts- und Kriminalreporterin der ZEIT, gibt in

diesem Buch eine chronologische Darstellung der Ereignisse um Amelie. Es ist ebenso dramatisch wie aufwühlend.

 

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