Ein Kriminalroman
Am 12. Februar 1923 beginnt mit dem spurlosen Verschwinden des Jugendlichen Fritz Franke in Hannover eine schreckliche Serie: In unregelmäßigen Abständen melden immer mehr Eltern ihre Söhne bei der Polizei als vermisst; bis zum 27. Oktober des gleichen Jahres – hier beginnt das Buch – sind es bereits 10 Jungs zwischen 13 und 18 Jahren.
Es gibt keine Leichen, keine Spuren oder auch nur den kleinsten Hinweis darauf, ob es sich überhaupt um Mordfälle handelt, geschweige denn wer der Täter sein könnte.
In optimistischen Momenten flackert in dem leitenden Ermittler Robert Lahnstein die Hoffnung auf, dass die Kinder „nur“ von zu Hause fortgelaufen sind, um - wie zu der Zeit nicht unüblich - vielleicht in Amerika oder bei der Fremdenlegion ihr Glück zu suchen.
Während immer mehr Jungen und junge Männer verschwinden – insgesamt werden es schließlich 24 sein – und Robert Lahnstein in einem einzigen Albtraum lebt, macht sich in der Bevölkerung Hysterie breit und zahlreiche Gerüchte brodeln.
In den Reihen der Polizei behindern Vertuschung und Korruption jeglichen Erkenntnisgewinn.
Als der Psychopath Fritz Haarmann in den Fokus der polizeilichen Ermittlungen rückt, beginnt zwischen ihm und der Polizei ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel.
Resümee: Gemäß Buchtitel habe ich einen Kriminalroman erwartet, in dem der Serienmörder Fritz Haarmann, also sein Leben, seine Taten und deren Aufklärung im Mittelpunkt stehen.
Dies trifft zum Teil zu, wenn wir erfahren, wie der Ermittler Robert Lahnstein verzweifelt, weil es keine Spuren von den vermissten Jugendlichen gibt, wie er immer wieder die Haarmann-Akte studiert, neue Vermisstenmeldungen aufnimmt und Vertuschung in den eigenen Reihen jeglichen Fortschritt verhindert. Im Mittelpunkt der Handlung steht hier also vor allem die Polizei, durch die der Leser Informationen über Haarmann erhält.
Eingeflochten sind gelegentlich kursiv gedruckte Abschnitte, in denen in der Er-Form Haarmanns neueste Aktivitäten oder die aktuelle Situation eines von zu Hause geflohenen jungen Mannes, der schließlich auf den Serienmörder trifft, geschildert werden.
Um der Authentizität und Spannung willen wäre meines Erachtens die Ich-Form hier die geeignete gewesen. So jedoch haftet den Schilderungen trotz der schrecklichen Ereignisse eine gewisse Sachlichkeit an.
Was hätte man aus der Haarmann-Biografie machen können! Statt sich jedoch darauf zu konzentrieren, verzettelt sich der Autor thematisch komplett:
1. Weltkrieg, politische Nachkriegssituation in der Weimarer Republik, gesellschaftliche Zustände, der Homosexualität unter Strafe stellende §175 des deutschen Strafgesetzbuches, Prostitution und das persönliche Schicksal Robert Lahnsteins … und zwischendrin immer ein wenig „Haarmann“. Allzu oft hat sich mir der Verdacht aufgedrängt, dass die Ereignisse um den Serienmörder lediglich als Vehikel für alle anderen Themen dienen sollen.
Dieses „Greif-hier-mal-hin, greif-da-mal-hin“ macht das Lesen schwierig und ermüdet – Spannung kommt gar nicht erst auf. Hinzukommt noch ein ausgesprochen trockener, oft telegrammhafter Schreibstil, der auch nicht dazu angetan ist, die für einen Kriminalroman erforderliche Spannung aufkommen zu lassen.
Fazit: Mit diesem Buch scheint der Autor ein allzu ehrgeiziges Anliegen
verfolgt zu haben, bei dessen Umsetzung er sich meines Erachtens aber total übernommen hat. Das Ergebnis:
Ein Kriminalroman: nein! Ein Gesellschaftsbild: nur andeutungsweise! Eher: von allem etwas und somit nichts Richtiges.
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