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Elmar Traks

Elmar Traks

Fried, Amelie – Die Spur des Schweigens (2020)

Roman

 

Das Buch beginnt mit dem Jahr 2007, als die freie Journalistin Julia Feldmann einen Anruf von ihrem Vater erhält, der sie bittet, sofort zu ihren Eltern zu kommen: Ihr Bruder Robert ist während

eines Trekking-Urlaubs in Norwegen spurlos verschwunden.

Die Recherchen der Polizei legen einen tödlichen Unfall nahe. Dieser Meinung schließt sich bald auch die Familie an, denn es gibt keinen

einzigen Hinweis darauf, dass Robert noch lebt.

12 Jahre später: Julias Vater ist inzwischen gestorben, ihre Mutter dement, Julia (39) ist nach wie vor Single und lebt von mäßig bezahlten Schreib-Jobs.

Eines Tages gibt der befreundete Chefredakteur einer Gesundheits-Journals ihr einen Artikel zum Lesen, in dem von der Preisverleihung an eine Wissenschaftlerin die Rede ist. In einem Kommentar erwähnt diese, dass weibliche Forscherinnen oft Mobbing und Übergriffen ausgesetzt seien.

Eigentlich ist Julia von der Me-too-Debatte genervt und will den ent-sprechenden Recherche-Auftrag am liebsten ablehnen. Doch in dem Artikel wird ein Institut genannt, in dem ihr vermisster Bruder als biologisch-technischer Assistent gearbeitet hatte.

 

Halbherzig beginnt sie dort mit einer Befragung, nicht ahnend, welchen Stein sie ins Rollen bringt. Als sich eine chinesische Assistentin aus dem Institut

bei ihr meldet und von sexuellen Übergriffen berichtet, ist der Ehrgeiz der Journalistin geweckt.

Bei ihren Recherchen kommt sie dem attraktiven Hauptbeschuldigten näher als sie es eigentlich dürfte, deckt Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe sowie Missbrauch auf, begegnet gleichzeitig aber einer „Spur des Schweigens“ bei einigen Betroffenen.

Parallel dazu erfährt sie Bestürzendes über ihren Bruder.

 

Resümee: Die Handlung besteht im Wesentlichen aus zwei Hauptsträngen.

Rückblenden vor allem ins Jahr 2007, in dem Robert verschwand, schildern seine private und die Situation im Forschungsinstitut zu der Zeit. Julias Gedanken wandern aus der Gegenwart auch oft in ihre Kindheit und Jugend zurück, drehen sich dabei in erster Linie um die Verbindung zu ihrem Bruder und die innerfamiliären Beziehungen.

 

Das Gegenwartsgeschehen ist 12 Jahre später angesiedelt, als Julia an einem Artikel über Mobbing, Macht- und sexuellen Missbrauch am Institut schreibt. Bei der Recherche stößt sie auf Roberts Namen, was sie veranlasst, auch nachzuforschen, was sich damals speziell in seinem Umfeld ereignet hat.

 

Die Handlung ist sehr vielschichtig und komplex. Ich hatte beim Lesens stets den Eindruck, dass Amelie Fried als Vorbereitung zum Buch eine umfangreiche Aufstellung mit vielen unterschiedlichen Mann-Frau-Beziehungen und -Persönlichkeiten angefertigt und daraus resultierend deren Umgang miteinander in den verschiedensten Situationen abgeleitet hat. Dieser hervorragenden schriftstellerischen respektive journalistischen Arbeit gebührt Anerkennung.

Während des Schreibens hat sie dann Situationen geschaffen, in denen diese zahlreichen Konstellationen in vielen Einzelszenen die Handlung bestimmen. Das hat auf mich oft zu gewollt, konstruiert und daher „unrund“ gewirkt … gerade so, als ob die Autorin ihre Liste abgearbeitet hat.

 

Allerdings verhindert genau diese Anlage des Plots eine einseitige Darstellung und bietet viel Gelegenheit zur Reflexion des komplexen Stoffes um männliche Anmache, Übergriffigkeit, sexuellen und Machtmissbrauch …

und die Reaktion der betroffenen Frauen darauf.

Zum Teil ist der Roman so spannend wie ein Krimi.

 

Die Person der Protagonistin Julia ist sehr / zu problembeladen – wobei es mit fortschreitender Handlung in Bezug auf die genannten Punkte etliche positive Veränderungen gibt:

• der Verlust des Bruders beschäftigt sie nach wie vor sehr, sie hat ihn

   noch nicht komplett verarbeitet,

• sie muss sich um ihre demente Mutter kümmern und schließlich dafür

   sorgen, dass sie adäquat betreut wird,

• immer noch Single, schätzt sie sich selbst als beziehungsunfähig ein,

   und scheut sich vor einer engen Bindung,

• beruflich schleppt sie sich von einem mäßig bezahlten Auftrag zum

   nächsten,

• dann wird ihr auch noch die Wohnung gekündigt,

• ihre Probleme und Sorgen ertränkt sie meist in zu reichlichem

   Alkoholkonsum.

Gut, dass ihre beiden besten Freundinnen sie immer wieder „auffangen“.

 

Fazit: ein sehr lesenswerter Roman, der in seiner Vielschichtigkeit

   viel Stoff zur Reflexion bietet.

 

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