Eine wahre Geschichte
Im Januar 1976 wird Oxana Kalemi in der ukrainischen Stadt Simferopol geboren. Im Vergleich zu vielen anderen Familien sind ihre Eltern reich.
Nachdem der Vater sich mit einer Autowerkstatt selbstständig gemacht hat, wird er zunehmend eifersüchtig, jähzornig und gewalttätig. Die Mutter trinkt immer häufiger, bekommt dann Wutanfälle und schlägt ihre Tochter.
Mit 14 Jahren ändert sich Oxanas Leben von einem Tag auf den anderen, als sie bei einem Strandbesuch von mehreren Jungs brutal vergewaltigt wird. Obwohl sie große Schmerzen hat, sollen ihre Eltern nichts davon erfahren, sie vertraut sich lediglich ihrer Cousine Yula an.
Fortan machen fremde Männer ihr Angst, und sie hält sich von ihnen fern. Das ändert sich, als sie 15 Jahre alt ist und der 7 Jahre ältere Sergej sie umwirbt – Oxana glaubt, in ihm den Mann gefunden zu haben, mit dem sie eine eigene Familie gründen will. Bald wird sie schwanger und Sergej heiratet sie.
Bei der Geburt ihrer Tochter ist sie 16 Jahre alt und glücklich. Doch das Geld wird knapp, ihr Mann arbeitet nicht, nimmt Drogen und wird gewalttätig. Entgegen dem Rat ihres Vaters, bei dem das Paar untergekommen ist, bleibt die junge Frau bei Sergej, bekommt sogar noch 2 weitere Kinder und lebt am Existenzminimum.
Als Sergej für lange Zeit ins Gefängnis muss, bricht Oxanas Welt endgültig zusammen. Der Vater ist inzwischen gestorben, und sie weiß nicht, wie sie sich und die kleinen Kinder über Wasser halten soll. Obwohl Verwandte gelegentlich helfen, leben sie unter menschenunwürdigen Verhältnissen.
Eines Tages kehrt Cousine Yula als scheinbar wohlhabende Frau von einem längeren Auslandsaufenthalt zurück. Sie erzählt, dass sie viel Geld in einer türkischen Fabrik verdient habe und gibt Oxana auf deren Drängen die Adresse.
Die junge Frau leiht sich Geld und fliegt in die Türkei – doch unter der angegebenen Anschrift existiert keine Fabrik.
Damit beginnt ein neuer Albtraum, denn Geld für die Rückreise hat Oxana nicht. Sie gerät in die Fänge von international agierenden Menschenhändlern, wird immer wieder verkauft und arbeitet als Prostituierte in Rumänien, Italien, Deutschland und England.
Doch mit dem Gedanken an ihre Kinder hält sie durch.
Erst in England bekommt sie – mittlerweile Mitte 20 - durch eine Organisation Unterstützung, sich von den Menschenhändlern und der Prostitution loszusagen, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen und sich ein eigenständiges Leben aufzubauen.
Resümee: Oxana Kalemi beschreibt einen unfassbaren Lebens- und Leidensweg, den sie nur durch die Gedanken an ihre in der Ukraine zurückgelassenen Kinder bewältigt hat, wie sie sagt.
Die Biografie ist geprägt von Lieblosigkeit, Gewalt, alkohol- und drogenabhängigen Familienmitgliedern, extremer wirtschaftlicher Not, internationalem Menschenhandel und Prostitution.
Dies zu lesen, ist in hohem Maße erschreckend.
Ich maße mir beileibe nicht an, über das Verhalten der Autorin zu richten – es ist für jemanden, der in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, kaum vorstellbar, was sie als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene erlebt hat.
Aber bei allem Respekt wundere ich mich doch sehr, wie leichtgläubig und naiv sie über all die Jahre, die von extrem schlechten Erfahrungen geprägt waren, geblieben ist, wie sie immer wieder auf die gleichen Maschen hereinfällt und dann stets Hilfe von anderen erbettelt und erwartet.
Die wenigen Chancen, die sich ihr wirklich bieten, nutzt sie nicht:
Obwohl sie sich mit ihrem Vater versöhnt, der sie bei sich aufnimmt, folgt
sie nicht seinem dringenden Rat, ihren arbeitslosen, gewalttätigen und drogenabhängigen Mann zu verlassen. Stattdessen bleibt sei bei ihm und rutscht dadurch immer weiter ins soziale und wirtschaftliche Aus.
Ihre Argumentation: lieber ein schlechter Mann, als mit den Kindern alleine zu sein.
Von ihrem kriminellen Bruder lässt sie sich ums Erbe bringen, statt auch hier an ihre Kinder zu denken und darum zu kämpfen.
Doch es mangelt ihr an Eigeninitiative, sich an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Da nützt es auch nichts, während der Arbeit als Prostituierte, die sie als abstoßend empfindet, immer wieder mantramäßig zu wiederholen, dass sie das alles ja nur für ein besseres Leben ihrer in der Ukraine gebliebenen Kinder auf sich nehme – allerdings über all die Jahre erfolglos, denn fast alles Geld, das sie verdient, muss sie an die Menschenhändler abgeben.
Einzige Ausnahmen sind, dass sie einmal beginnt, ihrem Zuhälter nicht alle Einnahmen abzuliefern, sondern einen kleinen Teil in einem Versteck spart – was er allerdings entdeckt.
Und ein – aus meiner Sicht dilettantisch geplanter - Fluchtversuch misslingt.
Der Buchtitel drückt bereits die Passivität der Frau aus, und der 1. Satz des 1. Kapitels bestätigt, dass sie im Grunde ihren Lebensweg schicksalsergeben akzeptiert:
„Ich glaube, die Geburt ist wie das Leben, man wird entweder mit Glück oder mit Pech geboren, und das folgt einem überallhin.“ (E-Reader Pos. 115, 3%) - Motto: Ich kann da nichts für.
Ich war beim Lesen immer hin- und hergerissen zwischen großem Mitgefühl und Entsetzen über Oxana Kalemis Geschichte einerseits sowie Unverständnis und Verärgerung über ihre in meinen Augen kaum glaubliche Naivität und Initiativlosigkeit andererseits.
Daraus folgt mein
Fazit: Ist dies wirklich „Eine wahre Geschichte“ (Untertitel) oder beruht das
Buch „nur“ auf einem wahren Kern - was schon schlimm genug wäre -, um den herum eine dramatische Romanhandlung entwickelt wurde?
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