Deiner Vergangenheit entkommst Du nicht
Thriller
Kathi ist alleinerziehende Mutter – ihr Partner war noch während der Schwangerschaft abgetaucht und hat sich nie wieder blicken lassen. Mittlerweile ist die kleine Lucy 8 Jahre alt und in der Schule genau wie einst ihre Mutter Außenseiterin: Das Geld ist stets knapp, sodass sie sich nicht modisch kleiden oder etwas Angesagtes leisten kann. Sie steht im wahrsten Sinne des Wortes am Rande, wenn andere in der Pause spielen und wird gemobbt. Besonders ihre Klassenkameradinnen Annabel und Charlotte machen ihr das Leben schwer.
Mutter und Tochter wohnen in dem alten Haus von Kathis Eltern. Ideal ist dies nicht, denn es ist baufällig, und in dem Ort wissen viele um die schrecklichen Dinge, die der Familie in der Vergangenheit widerfahren sind. Aber die junge Frau ist froh, ein Dach über dem Kopf zu haben und bekommt oft Hilfe von dem leicht autistischen Rolfie, wenn es um Reparaturen geht. Auch mit Lucy, die sich immer freut, wenn er mit ihr Karten spielt, versteht er sich gut.
Das Mädchen scheint sich mit der Gesamtsituation abgefunden zu haben, macht jedenfalls keinen unglücklichen Eindruck.
Doch dann geschehen alarmierende Dinge: Eines Tages kommt Lucy erst
mit sehr viel Verspätung vom nachmittäglichen Turnen zurück – es stellt sich heraus, dass sie gar nicht dort gewesen ist. Doch sie will ihrer besorgten Mutter nicht anvertrauen, was sie stattdessen gemacht hat.
Als kurz darauf Charlotte, eine ihrer schulischen Peinigerinnen, spurlos ver-schwindet, gerät Kathi ins Visier der Polizei: Sie hat das Mädchen als Letzte lebend gesehen, und allen ist nur noch allzu bekannt, was damals in ihrer Familie geschehen ist.
Dankbar nimmt sie die Unterstützung der mit ihrem Mann neu hinzu-gezogenen wohlhabenden Jennifer an. Diese hat ihre Tochter durch ein tragisches Unglück verloren, kümmert sich gerne um Lucy, und Kathi freut sich, in ihr eine Gesprächspartnerin gefunden zu haben.
Doch im Laufe der Zeit wird ihr Jennifer zu dominant ist und ihr selbst ent-gleitet zunehmend die Kontrolle.
Resümee: Vordergründig sind Mobbing und Ausgrenzung aufgrund sozialer Unterschiede und schlimmer Familiengeschichten das Thema dieses Buches.
Aber es geht um weit mehr – und das wird Schicht um Schicht bis zum erschütternden Ende freigelegt, sodass der Autorin mit diesem Werk ein tiefgründiger Psychothriller gelungen ist [um nicht zu spoilern, verzichte ich ausnahmsweise auf weitere Erklärungen].
Dieser Thriller ist einer der wenigen, in denen der Prolog wirklich dazu beiträgt, die Spannung zu steigern. Denn bis ganz zum Schluss ist die dort szenisch geschilderte schlimme Situation eines kleinen Mädchens dem Leser gedanklich präsent. Man stellt immer wieder Spekulationen an, wem sie zuzu-ordnen, wie sie in die Gesamthandlung einzuordnen ist. Aber es fehlt immer mindestens ein Puzzleteil, um schlüssig zu sein. Die Auflösung erfolgt erst am Schluss – und die ist um einiges schockierender als alle Vermutungen.
In die Überlegungen des Lesers fließt stets mit ein, dass einige Personen sich verdächtig benehmen, man nicht weiß, was man von ihnen zu halten hat: Ist der leicht autistische Rolfie, den Kathi seit ihrer Schulzeit kennt, der sie unter-stützt und sich so gut mit Lucy versteht, wirklich der nette, hilfsbereite Mann?
Die mit ihrem sehr viel älteren Ehemann neu in die Gegend gezogene Jennifer agiert oft sehr unkonventionell, wirkt zum Teil aufdringlich, wenn es darum geht, Mutter und Tochter unter die Arme zu greifen. Und der Gatte zeigt ein großes Interesse an Lucy.
Die Eltern der vermissten Charlotte scheinen nicht mit offenen Karten zu spielen. Wollen sie etwas vertuschen?
Wer hat an Kathis Adresse ein gruseliges Paket geschickt? Es muss jemand sein, der genau weiß, was vor mehr als 20 Jahren in ihrer Familie geschehen ist. Doch wer und warum gerade jetzt?
Obwohl die verschiedenen Charaktere facettenreich und in sich schlüssig angelegt sind, war mir Kathi selbst nicht 100%-ig sympathisch: Bei allem Verständnis für ihre schwierige wirtschaftliche Situation und die Heraus-forderungen als Alleinerziehende hat sie sich m.E. zu stark mit ihrer Opferrolle arrangiert, jammert viel, ist energielos und scheint keine Anstrengungen zu unternehmen, etwas zu ändern. Ihre Ängste um ihren Ruf wegen der Jahr-zehnte zurückliegenden Ereignisse scheinen mir überzogen und können ihr Verhalten in dem geschilderten Maße nicht mehr rechtfertigen und als Erklärung dafür dienen, dass ihre Tochter ebenso Außenseiterin ist wie sie selbst einst.
Erst mit dem Schluss scheint sich ein Wandel anzudeuten.
Fazit: ein von Anfang bis Ende spannender Psychothriller
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