_______________________

 

Webmaster u.v.a.m.

Elmar Traks

Elmar Traks

Blake, Audrey – Die Chirurgin von London (2023)

Roman

 

Im Jahr 1832 ist die gesamte Londoner Familie Beady an Cholera erkrankt. Die kleine Eleanor (genannt Nora) überlebt als einzige mit knapper Not und wird im Haus des Arztes Dr. Horace Croft

gesund gepflegt. Seine Haushälterin Mrs. Phipps setzt sich dafür ein, dass das Mädchen bei ihnen aufwachsen darf und somit ein Zuhause bekommt.

13 Jahre später, im Jahr 1845, ist Nora für den Arzt bereits unentbehrlich ge-worden: Sie fertigt anatomische Skizzen an, schreibt seine Aufzeichnungen ab, liest medizinische Fachliteratur und assistiert Horace Croft sogar bei Operationen. Da diese Arbeit im streng moralisch geprägten, prüden und sexualfeindlichen Viktorianischen Zeitalter für Frauen jedoch strikt verboten ist, muss ihre Tätigkeit geheim halten werden. Die Situation wird besonders heikel, als ihr Ziehvater den jungen Arzt Daniel Gibson einstellt und der Praxis- sowie Operationsraum für sie tabu sind.

 

Nora leidet: Zu groß sind ihr Wissensdurst und Forscherdrang, die Rolle einer gesitteten jungen Dame, die sich mit Handarbeiten beschäftigt und höflich-belanglose Konversation betreibt, liegt ihr dagegen überhaupt nicht. Daher schleicht sie sich schließlich nachts heimlich in den Operationssaal, greift zum Skalpell und untersucht Leichen, wie sie es schon so oft getan hat. Als Daniel Gibson sie dort überrascht, ist er entsetzt, weiß nicht, wie er mit dieser Ent-deckung umgehen soll.

 

Resümee: Audrey Blake ist das Pseudonym von Regina Sirois und Jaima Fixsen, die sich bei einem Schreibwettbewerb kennengelernt und ange-freundet haben. Erstere hatte sich bereits intensiv mit der Geschichte der Medizin befasst und konnte auch ihre Freundin dafür begeistern. Nach weiteren intensiven Recherchen beschlossen sie schließlich, ein Buch über den Zustand der Heilkunde um 1840 und die Entwicklung in den Folgejahren zu schreiben. Eine starke Frau sollte die zentrale Rolle spielen. Waren Frauen im 18. Jahrhundert oft als Heilerinnen und Hebammen tätig, wurden sie ab Beginn des 19 Jahrhunderts immer mehr von Ärzten verdrängt, die eine Lizenz zur Ausübung ihrer Tätigkeit erworben hatten. Frauen mit dem Inter-esse, Wissensdurst und Können der Protagonistin Nora waren gezwungen, dies geheimzuhalten, um nicht sanktioniert und gesellschaftlich geächtet zu werden - es schickte sich nicht für das weibliche Geschlecht, an fremden Körpern zu forschen, Patienten entblößt zu sehen oder sie gar zu operieren. Eine Lizenz zu bekommen, war ebenso undenkbar wie ihr Wissen öffentlich preiszugeben. Einige tarnten sich mit männlichen Namen oder wanderten ins diesbezüglich fortschrittlichere Ausland aus, wie es zum Schluss auch Nora tut.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Handlung ebenso interessant wie spannend, bis hin zur Dramatik. Der Leser erlebt Untersuchungen an Leichen am Sezier-tisch, Operationen und Experimente z.B. mit Äther als Beobachter hautnah, detailliert und realistisch mit – allzu zart besaitet darf man nicht sein.

Spannung wird auch dadurch erzeugt, dass man anfangs nicht weiß, wie der schockierte Daniel Gibson auf seine Entdeckung reagieren wird, dass Nora ihm im Grunde bereits ebenbürtig- teilweise sogar überlegen - und nicht bereit ist, ihre Tätigkeiten aufzugeben.

Darüber hinaus droht der Erzfeind der Dres. Croft und Gibson, der intrigante Klinikleiter Dr. Vikery, zur immer größer werdenden Gefahr für die beiden Ärzte und schließlich auch für Nora zu werden. Als unberechenbar, da labil

in Bezug auf seine Loyalität, erweist sich sich Daniel Gibsons Freund Harry, der mit ihm in der gleichen Klinik arbeitet und im Hause Croft oft zu Gast ist.

 

Es schadet nicht, wenn der Leser medizinisch ein wenig bewandert ist, dann es tauchen sehr viele medizinische Fachbegriffe auf, die leider nicht erklärt werden und zum Teil wirklich nicht als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden können (genannt seien hier beispielhaft Mesmerismus, Kauterisieren, Koprostase). Ein Glossar wäre hier für viele sicher hilfreich und würde den Lesegenuss noch erhöhen.

 

Fazit: Ich hoffe, dass es eine Fortsetzung geben wird, denn ich bin gespannt,

   wie Noras beruflicher und privater Lebensweg weiter verlaufen wird.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0