Psychothriller
Hannah (36) ist in Pflegefamilien aufgewachsen und sehnt sich nach der Geborgenheit in einer eigenen Familie; doch bis jetzt hat sie noch nicht den richtigen Mann gefunden. Aber sie macht das Beste aus ihrem Leben: Ihr Beruf als Sozialarbeiterin füllt sie aus, sie genießt die „Mädelsabende“ mit ihrer Kollegin und besten Freundin Jas und fühlt sich in ihrer gemütlichen kleinen Wohnung wohl. Jas ist es auch, die sie ermutigt,
die Partnersuche mit Hilfe einer Dating-App voranzutreiben.
So lernt sie den attraktiven Alex kennen. Gleich beim ersten Date sind sich beide sicher, das „Perfect Match“ miteinander getroffen zu haben – es gibt offensichtlich nichts, worin sie nicht der gleichen Meinung sind. Sogar die Zukunftsplanung im Bezug auf Kinder, Hund, Haus und Urlaube sehen beide absolut identisch. Hannah ist selig: Alex ist der perfekte Mann, sie sind das perfekte Paar.
Umso enttäuschter ist sie, als er sich nicht zeitnah wieder bei ihr meldet.
Hat sie die Signale falsch gedeutet, zu viel in diese erste Begegnung und
den Kuss beim Abschied hinein interpretiert?
Doch endlich bittet er sie um ein zweites Date, das sie bestätigt: Sie hat den Mann fürs Leben gefunden. Und auch Alex gesteht, dass Hannah genau die Frau ist, nach der er so lange gesucht hat.
Ihren Kollegen bleibt Hannahs Euphorie nicht verborgen … aber zu ihrer Enttäuschung reagieren sie eher skeptisch. Besonders Freundin Jas kommt einiges nicht ganz koscher vor, sodass sie zur Vorsicht mahnt.
Doch das Paar kommt sich immer näher, Hannah verbringt viel Zeit mit Alex in dessen Haus, beide genießen die Zweisamkeit. Auf seltsame Vorkommnisse und befremdliches Verhalten angesprochen, kann er immer eine Erklärung liefern, die seiner Freundin nicht nur schlüssig, sondern sogar liebevoll er-scheint – auch wenn die Überfürsorge sie manchmal in ihrem Freiraum ein-schränkt.
Warnungen ihrer befreundeten Kollegen schlägt sie in den Wind. Schließlich liest Alex ihr doch jeden Wunsch von den Augen ab, verwöhnt und beschützt sie – so, wie sie es sich immer erträumt hat.
Es dauert (beinahe zu) lange, bis Hannah dank ihrer Freundin Jas erkennt, was wirklich hinter Alex' Verhalten steckt.
Resümee: Auch dieser Psychothriller der Autorin hat mich von Anfang an gepackt … und mich manchmal an die Grenzen dessen gebracht, was ich ertragen konnte:
Natürlich kann man rational betrachtet Hannahs Festhalten an der Beziehung zu Alex als naiv und blind betrachten, natürlich sind die Warnungen ihrer befreundeten Kollegen in Bezug auf sein Verhalten ihr gegenüber absolut berechtigt. Denn ganz klar überschreitet er Grenzen, wenn er z.B. unein-geladen bei einer Kollegen-Feier auftaucht, die ausdrücklich ohne Partner stattfindet, wie er weiß.
Oder wenn er mit einem gut bestückten Picknick-Korb plötzlich neben ihrem Schreibtisch steht, obwohl Hannah ihm klipp und klar gesagt hat, sie habe keine Zeit für eine Mittagspause und Fremde seien im Büro nicht gerne gesehen.
Oder wenn er ihren Wunsch, wieder in ein Fitness-Studio zu gehen, dahin-gehend modifiziert, dass er ohne Absprache eins in seiner Garage für sie einrichtet.
Oder wenn er eine App auf seinem Handy installiert, damit er immer weiß, wo sie sich gerade aufhält.
Oder, oder, oder ….
Auf der emotionalen Ebene dagegen kann man ihr Verhalten verstehen:
Alex hat für alles eine plausible Erklärung, und sie sieht in ihm weiterhin den perfekten Partner, der ihre Ansichten und Ziele teilt, ihr jeden Wunsch erfüllt, um ihr Wohlergehen besorgt ist und sie beschützen will.
Denn schließlich möchte er, dass sie nach Alkohol-trächtigen Feiern heil wieder zu ihm nach Hause kommt, und warum Geld für ein Taxi ausgeben? Da ist es doch besser, er holt sie ab.
Natürlich muss sie mittags eine Pause machen und etwas essen. Da bietet
es sich doch an, dass er für einem gemeinsamen Imbiss rasch vorbeikommt, wenn sie keine Zeit hat, ihren Arbeitsplatz zu verlassen.
Warum Geld für die Mitgliedschaft in einem Fitness-Center ausgeben, wenn sie es doch zu Hause bei ihm viel bequemer haben kann?
Da seine Ex-Frau gedroht hat, seiner neuen Partnerin etwas anzutun, dient
es doch nur ihrer Sicherheit, wenn er jederzeit weiß, wo beide Frauen sich gerade aufhalten. So kann er Hannah gegebenenfalls rechtzeitig warnen, wenn die Ex ihr zu nahe kommt.
Schließlich versichert ihr Alex auch immer wieder, wie sehr er sie liebt und dass er sie nicht verlieren will.
Doch das Korsett der Obsession zieht sich immer enger um Hannah und droht, ihr immer mehr die Luft zum Atmen zu nehmen. Als Jas endlich mittels eines Fotos eindeutig beweisen kann, welches perfide „Spiel“ Alex von Anfang getrieben hat, ist es wirklich der allerletzte Moment, um im wahrsten Sinne des Wortes die Beine in die Hand zu nehmen.
Doch als ich dachte: „Puh, gerade noch mit heiler Haut davongekommen!“ und mich fragte, womit denn wohl die letzten ca. 30 Seiten gefüllt sein würden, kam der absolute Knaller, mit dem ich im Leben nicht gerechnet hätte. Ein ganz großes Kompliment an die Autorin, die dies so clever vor-bereitet hat.
Der Schluss ist streng genommen offen, aber im Grunde ahnt der Leser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, was passieren wird und bleibt fassungslos mit einer dicken Gänsehaut zurück.
Fazit: ein von Anfang an absolut spannender Psychothriller
mit einem schockierenden Twist am Schluss
Kommentar schreiben
Jacqueline (Dienstag, 06 August 2024 10:04)
Liebe Annette, das klingt wirklich spannend. Andererseits triggert mich das Eine oder Andere schon im Vorfeld. Dazu gehören Frauen, die an ihrer ersehnten und vermeintlich heilen Welt festhalten, obwohl sie warnende Signale wahrnehmen - aber einfach ausblenden, um nicht reagieren zu müssen. Womit ich auch ein Problem habe, ist die beste Freundin, ohne die die Protagonistin wahrscheinlich nicht aus der Sache herausgekommen wäre. Die 'beste Freundin' steht für mich für die Unselbständigkeit der Hauptfigur, die ihre Belange nicht in die Hand nimmt. Ich muss noch darüber nachdenken, ob ich das Buch lesen möchte. Liebe Grüße, Jacqueline
A.T. (Dienstag, 06 August 2024 12:26)
Liebe Jacqueline,
ich verstehe Deine Sichtweise vollkommen und stimme ihr losgelöst von dem Buch zu.
Allerdings darf man hier nicht die Vergangenheit der Protagonistin außer acht lassen: Sie ist in mehreren Pflegefamilien aufgewachsen und sehnt sich als Erwachsene nach dem harmonischen Familienleben, das sie nie erlebt hat. Mit Mitte 30 hat sie schon nahezu die Hoffnung aufgegeben, dass sie den Richtigen noch kennenlernt. Und dann kommt Alex, der nicht nur super attraktiv ist, sondern sie offenbar nicht nur als Frau begehrt, sondern auch verehrt, sie beschützen und ebenfalls eine Familie gründen will, wobei ihre Vorstellungen sich absolut decken. Genau das, was sie immer ersehnt hat. Und wenn sie sein Verhalten nicht schon selbst so deutet, so biegt er es argumentativ so hin.
Die Freunde / Freundin sehen es ohne diesen Hintergrund und aus der Distanz rational. -- Aber Hannah weiß, was sie will, nämlich Alex. So einen tollen Mann hatte sie noch nie.
Mehr will ich nicht verraten.
Viele liebe Grüße Annette