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Elmar Traks

Elmar Traks

Vance, J.D. - Hillbilly Elegie (2024)

Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise

 

In dieser Rezension kommentiere ich einige Aspekte bzgl. J.D. Vances Bio-grafie sofort, um in einem gesonderten Resümee nicht die Bezüge wieder herstellen zu müssen und Wiederholungen zu vermeiden.

Ein paar abschließende Bemerkungen betreffen Grundsätzliches zum Buch.

Eine Bewertung des Werkes ist aus meiner Sicht nicht sinnvoll, da dies auch hieße, den Lebenslauf des Autors zu beurteilen – das halte ich nicht für ange-bracht.

Zunächst zu den Begriffen aus dem Buchtitel:

 

Als Elegie bezeichnet man ein Gedicht, das eine melancholische, wehmütige Stimmung ausdrückt, oft ist es ein Klagelied, das Verlust, Trauer und Tod thematisiert.

Synonyme für das Adjektiv „elegisch“ sind z.B.sentimental, melodramatisch, schwermütig, theatralisch.

Das Gegenteil einer Elegie ist eine Ode, die positive Dinge zum Inhalt hat, man denke nur an Schillers „Ode an die Freude“.

Ob der Titel „Elegie“ zutrifft, wird zum Schluss zu beurteilen sein.

 

„Hillbilly“ ist eine abfällig Bezeichnung für jemanden, der aus einer gebirgi-gen, waldigen und ländlichen Gegend der USA kommt, vornehmlich aus den Appalachen, einer waldigen, ca. 2400 km langen Gebirgsregion im Osten Nordamerikas. Das Wort entspricht in etwa dem deutschen „Hinterwäldler“. Vance ist in Regionen der Apalachen geboren und aufgewachsen, also ein Hillbilly.

 

Seine Intention, dieses Buch 2016 - im Alter von 31 Jahren - zu schreiben*), ist nach eigener Aussage folgende:

S. 9: „Die Leute sollen wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sich fast schon aufgegeben hat (…). Die Leute sollen verstehen, was im Leben der Armen vor sich geht, welche psychologische Wirkung diese geistige und materielle Armut auf ihre Kinder hat. Die Leute sollen wissen, wie sich sozialer Aufstieg wirklich anfühlt. Und sie sollen verstehen, was ich selbst erst vor kurzem verstanden habe: dass diejenigen unter uns, die das Glück hatten, den amerikanischen Traum zu leben, noch immer von Gespenstern eines Lebens verfolgt werden, das wir längst hinter uns gelassen haben.“

Ob diese Absicht zum Erfolg geführt hat, wird ebenfalls nach der Lektüre zu beurteilen sein.

 

James David Vance wurde am 2. August 1984 in der Industriestadt Middletown / Ohio als James Donald Bowman geboren. Donald Bowman

war der 2. Ehemann seiner Mutter, der den Jungen zur Adoption freigab,

als dieser 6 Jahre alt war.

Ehemann Nr. 3, Bob Hamel, adoptierte ihn, und die Mutter ließ bei der Ge-legenheit auch den Vornamen ihres Sohnes ändern, um die Erinnerung an seinen Erzeuger auszulöschen. Er hieß fortan James David Hamel.

Die folgenden Ehemänner der Mutter hatten keinen Einfluss auf seinen Namen.

 

J.D., wie er von allen gerufen wurde, wuchs in Ohio im sogenannten Rust Belt auf – dem „Rostgürtel“, die Bezeichnung für eine Industrieregion. Einen Groß-teil seiner Kindheit verbrachte er auch im Bundesstaat Kentucky, dessen öst-licher Teil zu den Appalachen gehört.

Er stammt aus absolut desolaten Familienverhältnissen, in denen das Mittel zur Verteidigung und Durchsetzung nicht nur Fäuste, sondern gelegentlich auch Waffen waren - seine Großmutter hatte eine beachtliche Sammlung. Körperliche Züchtigung, lautstarke Auseinandersetzungen mit Beschimp-fungen und Beleidigungen sowie Drogen und Alkohol waren an der Tages-ordnung.

J.D. konnte sich mit Fleiß und Disziplin jedoch hocharbeiten. Das hat er vor allen Dingen seinen Großeltern, speziell seiner Großmutter zu verdanken:

Zitat S. 46: „Trotzdem glaubten Mamaw und Papaw [Anm.: J.D. Vances Großeltern], dass harte Arbeit mehr zählte als alles andere. Das Leben war Kampf, und wenn auch die Chancen für Leute wie sie wohl ein wenig schlech-ter waren, war das noch lange keine Entschuldigung für Versagen. 'Werd bloß nicht so ein beschissener Verlierertyp, der denkt, dass sich alles gegen ihn verschworen hat', sagte Mamaw mir immer wieder. 'Alles, was Du Dir vor-nimmst, kannst du erreichen.' ''

Dabei unterstützte sie ihren Enkel in der Schulzeit nach Kräften, indem sie z.B. das nötige Lernmaterial besorgte, auch wenn es mit finanziellen Opfern verbunden war, und dafür sorgte, dass J. D. seinen schulischen Aufgaben nachkam.

 

Als er älter war, sprachen seine Großmutter und er über soziale Probleme in ihrem Umfeld, in dessen Verkauf sie ihm riet, selbst Geld zu verdienen, um den Umgang damit zu lernen. Er arbeitete daraufhin an einer Supermarkt-kasse, wo er, wie er selbst sagt, zum „Amateur-Soziologen“ (S.160) wurde, indem er das unterschiedliche Verhalten der Kunden beobachtete. Auf diese Weise lernte er viel über die Schere zwischen Arm und Reich und las Bücher über Sozialpolitik.

 

Als er einmal klagte, dass er lieber zu Hause bleiben als zur Spätschicht in den Supermarkt gehen wolle, meinte seine Großmutter, mit der er seit der

10. Klasse zusammenwohnte, mitfühlend, dass es auch ihr lieber wäre, er würde bei ihr bleiben. „Aber wenn Du eine Arbeit haben willst, bei der Du die Wochenenden mit Deiner Familie verbringen kannst, dann musst Du studie-ren und etwas aus dir machen.“ (S. 173)

 

Er konnte schließlich die Highschool besuchen, diente bei den Marines und studierte danach an der renommierten Yale University Jura, wo er sich zu-mindest anfangs aufgrund seiner Herkunft fehl am Platz fühlte: „ An der Yale University kam ich mir vor, als habe mein Raumschiff eine Bruchlandung auf Oz gemacht.“ (S.234)

Mit zum Teil 3 Jobs verdiente er sich Geld, schaffte aber trotz der enormen Belastung einen hervorragenden Abschluss.

 

Während des Studiums verliebte er sich in seine spätere Ehefrau Usha. Anlässlich ihrer Hochzeit ihm Jahr 2013 nahmen beide den Nachnamen seiner Großeltern an – Vance.

 

Nach dem Examen arbeitete J.D. Vance in einer multinationalen Anwalts-kanzlei, stieg später über mehrere Etappen zum Direktor einer Investment-firma auf.

 

Lebenslauf über den Inhalt des Buches hinaus:

 

Für den Staat Ohio war Vance von 2023 bis 2025 im US-Senat tätig.

 

Übte er ursprünglich harte Kritik an Donald Trump, so machte er später eine Kehrtwende, die er wie folgt erklärte: „Ich habe nicht geglaubt, dass er ein guter Präsident sein würde. Er war ein großartiger Präsident. Und das ist einer der Gründe, warum ich so hart daran arbeite, dass er eine zweite Amtszeit bekommt.“ (Wikipedia). Dies tat Vance im Wahlkampf um Trumps

2. Regierungszeit als dessen Runningmate (= der Kandidat um die Vize-präsidentschaft) und wurde mit dessen Sieg schließlich Vizepräsident der USA.

 

In dem Zusammenhang finde ich eine Passage auf S. 20 / 21 sehr auf-schlussreich, die zeigt, dass J.D. Vance bereits in frühester Jugend durch sein Verhalten erfahren und verinnerlicht hat, dass Opportunismus von Vorteil ist – also die flexible Anpassung an eine Lage oder Menschen, unabhängig von den eigenen Wertvorstellungen:

„In Ohio lernte ich, mit verschiedenen Ersatzvätern umzugehen, und ich machte meine Sache gut. Wenn Steve da war, der eine Midlife-Crisis hatte, wie sein Ohrring bewies, tat ich, als fände ich Ohrringe cool – so überzeu-gend, dass er es für angebracht hielt, auch mein Ohr zu durchstechen.

Wenn Chip da war, ein Polizist, (…) fand [ich] Polizeiautos toll. Wenn Ken

da war (…), war ich der liebenswürdige Bruder für seine beiden Kinder. Aber nichts davon war echt. Ich hasste Ohrringe, ich hasste Streifenwagen, und ich wusste, dass ich mit Kens Kindern in spätestens einem Jahr nichts mehr zu tun haben würde.“

Vielleicht hat Vance ja in Wirklichkeit seine Meinung über Donald Trump gar nicht geändert, sondern es nützte seinen Karriere-Interessen, sein Mäntel-chen nach dem Wind zu richten?

 

In dem Zusammenhang finde ich noch ein weiteres Zitat bemerkenswert: „Wir können den Abendnachrichten nicht trauen. Wir können unseren Politikern nicht trauen.“ (S.223)

 

Abschließende Bemerkungen: Ich finde dieses Buch, das J.D. Vance bereits vor 10 Jahren geschrieben hat, sehr interessant und informativ, was seine Biografie angeht, und sehr erhellend in Bezug auf sein heutiges Agieren und Argumentieren. Viele heute noch deutlich zutage tretenden Einstellungen und Eigenschaften – seien sie positiv oder negativ - sind ganz offensichtlich in seinen diversen Sozialisationsphasen erworben und internalisiert worden.

Sehr ausgeprägt ist vor allem ein unbedingter Erfolgs- und Aufstiegswillen, gepaart mit einem gerüttelt Maß an blinder Loyalität, bar jeder Diplomatie, und oft mit Scheuklappen, was mögliche Folgen seines Tuns angeht. Jüngstes Beispiel: Die Reise seiner Ehefrau Usha nach Grönland.

 

Eine Elegie? Dieser Begriff mag auf „die Geschichte meiner Familie“ (Untertitel) bedingt zutreffen, ganz sicher aber nicht auf J.D. Vance selbst, der im gesamten Buch durchgängig der Protagonist ist. Hier wäre in Anbetracht seines seinem Kampfgeist geschuldeten enormen gesellschaftlichen Aufstiegs „Ode“ angebracht.

 

Ist seine oben genannte Intention, dieses Buch zu schreiben, bei mir so rüber-gekommen? Jein: Man kann J.D. Vances Prägung durch seine Biografie nicht als allgemeingültig ansehen – er schildert seinen ganz individuellen Lebens-weg mit all seinen Auswirkungen auf ihn. Aber Menschen mit vergleichbaren schlechten Startbedingungen ins Leben, die sich wie er daraus befreien können, werden ihren Weg sehr unterschiedlich bewerten und auch das „Erleben des amerikanischen Traums“ auf andere Weise verarbeiten. Sprich: Man kann seiner eigenen Geschichte nicht den Stempel der Allgemein-gültigkeit aufdrücken.

 

Sehr hilfreich wäre bei der Vielzahl der Orte und Regionen eine Karte von Amerika gewesen.

Unbedingt notwendig ist aber ein Familienstammbaum. Denn J.D. Vance be-ginnt mit seiner Geschichte bei den Urgroßeltern – deren Familie und auch die der nachfolgenden Generation war sehr groß und permanenten Verände-rungen unterworfen. Dadurch, dass die Lebensläufe vor allem anfangs weder chronologisch erzählt werden noch einem roten Faden folgen, sondern zwischen den Generationen und deren männlichen und weiblichen Linien

hin und her gesprungen wird, ist es dem Leser nahezu unmöglich, ihnen zu folgen. Er schreibt selbst: „Es war kein friedliches Kleinfamilienleben, es war ein chaotisches Leben mit einer Menge Tanten und Onkels, mit Großeltern, Cousins und Cousinen.“ (S. 83 / 84). Hinzukamen auch noch jede Menge Halbgeschwister.

 

Warum wurde ein Stammbaum also weggelassen, wenn es lt. Untertitel des Buches doch gerade um „Die Geschichte meiner Familie (...)“ geht? Hierüber kann man nur Mutmaßungen anstellen.

 

*) Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 bei Harper,

die deutschsprachige Erstausgabe 2017 im Ullstein Verlag, der

jedoch im Sommer 2024 aus politischen Gründen die Lizenz nicht verlängerte. Die mir vorliegende Ausgabe wurde in 1. Auflage 2024

bei Yes Publishing veröffentlicht.

 

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